Die Musizierenden unter Leitung von Dirigentin Graziella Contratto lassen sich vom Publiukum feiern. Bild zvg
Die Musizierenden unter Leitung von Dirigentin Graziella Contratto lassen sich vom Publiukum feiern. Bild zvg

Musik

Gustav Mahler im schlanken Gewand

Am Sonntagabend gewann das Mythen Ensemble Orchestral unter der Leitung von Graziella Contratto im Abschlusskonzert des diesjährigen «Musiksommers am Zürichsee» Gustav Mahlers fünfter Symphonie völlig neue Facetten ab.

Gustav Mahlers Symphonien, allesamt musikalische Weltentwürfe, sprechen seit ihrer Renaissance in den 1960er-Jahren eine wachsende Hörerschaft auf eine geheimnisvolle Art und Weise unmittelbar an. Wie Graziella Contratto in der Konzert-Einführung erzählte, habe sie die «Über-Identifikation» mit Mahler ihrer jungen Jahre mittlerweile durch eine tiefe Bewunderung für die kompositorische Perfektion seiner Werke ausgetauscht. Dieser etwas nüchternere Zugang schadet auch ihrer Interpretation des Werks keineswegs: Sie arbeitete das über weite Strecken extrem verzahnte polyphone Gewebe des Werks minutiös mit dem Ensemble aus, hielt die zum Teil riesigen Spannungsbögen aufrecht, liess in der Walzerseligkeit und im berühmten Adagietto unsentimental schwelgen und an den brachialen Stellen subtil zupacken.

Ein neues Gewand


Schützenhilfe erhielt die Dirigentin für ihren Ansatz durch die Bearbeitung von Klaus Simon, die für Mahler- enner eine echte Entdeckung sein dürfte: Statt eines über hundertköpfigen Orchesters standen in Lachen 18 Musikerinnen und Musiker im Kirchenschiff. Durch die transparente, solistische Gestaltung der Bearbeitung wurden die kunstvollen Strukturen des Werks, insbesondere das sie durchziehende polyphone Netz, besonders ohrenfällig und lenkten die Aufmerksamkeit immer wieder auf Unbekanntes, noch nie Gehörtes. Überraschend dicht und klangkräftig wirkten die tumultuösen Passagen – die «neuen» Instrumente, namentlich Klavier und Akkordeon, füllten den Raum der Mittelstimmen mit ungewohnten Klangfarben aus, um gelegentlich in den Vordergrund zu treten. All-Star-Besetzung in Höchstform Mahler, selbst ein berühmter (und gefürchteter) Pultlöwe, habe den Dirigenten viel Arbeit abgenommen, sodass sich die Partitur fast von selbst aufführe, so Graziella Contratto nonchalant – natürlich ein absolutes Understatement. Zudem braucht es dafür ein eingespieltes Ensemble auf technisch höchstem Niveau – doch ein solches stand der Dirigentin mit dem Mythen Ensemble Orchestral tatsächlich zur Verfügung: Solistinnen und Solisten aus den leitenden Schweizer Orchestern oder aus Spitzenformationen reisten nach Lachen, am Akkordeon sass Teodoro Anzellotti, Stefan Wirth am Klavier. Die Musikerinnen und Musiker spielten – so Graziella Contratto nach dem Konzert – «um ihr Leben» und strahlten dabei doch eine mühelos wirkende, entfesselte Spielfreude aus. Der Funken übertrug sich auch auf das Publikum, das sich für die 75-minütige Tour de Force mit einer Standing Ovation bedankte. Kürzlich brachte das Ensemble das gewichtige Werk ins KKL – zu wünschen wäre ein dritter Mahler-Markstein auf Graziella Contrattos Label Schweizer Fonogramm als wundervolle Bereicherung des nach wie vor stetig wachsenden Mahler-Kosmos’.

Höfner Volksblatt und March-Anzeiger / Severin Kolb

Autor

Höfner Volksblatt & March Anzeiger

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Kategorie

  • Musik

Publiziert am

18.10.2022

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