Die Ausstellungsgruppe Kulturverein Chärnehus Einsiedeln (von links): Hans Gyr, Claudia Schönbächler, Beat Bisig, Andrea Kuriger, Kuratorin Susanna Bingisser, Patrick Schönbächler, Markus Staub, Madeleine Schönbächler und Obmann Albert Bingisser. – Es fehlt: Christine Doerfel. Foto: Urs Gusset
Die Ausstellungsgruppe Kulturverein Chärnehus Einsiedeln (von links): Hans Gyr, Claudia Schönbächler, Beat Bisig, Andrea Kuriger, Kuratorin Susanna Bingisser, Patrick Schönbächler, Markus Staub, Madeleine Schönbächler und Obmann Albert Bingisser. – Es fehlt: Christine Doerfel. Foto: Urs Gusset

Dies & Das

«Verstehe Vorgänge jetzt etwas besser»

Susanna Bingisser, Egg, Historikerin und Kuratorin der Ausstellung «Einsiedeln und seine Fotograf(i)en» im Chärnehus Einsiedeln.

Urs Gusset: An der samstäglichen Vernissage haben Sie mit Blick auf die Ausstellung und Broschüre «Einsiedeln und seine Fotograf(i)en» gesagt, dass sich die schlaflosen Nächte und grauen Haare gelohnt haben. Wie viele schlaflose Nächte hatten Sie?


Susanna Bingisser: Da hat es einige gegeben, auch bei andern Gruppenmitgliedern. E-Mails, die um ein Uhr morgens hin- und hergeschickt worden sind, ein Gut zum Druck, das frühmorgens dringend angeschaut werden musste, oder Metallrahmen, die Lieferverzögerung hatten, haben die Nerven strapaziert.


Von grauen Haaren war bei Ihnen an der Vernissage nichts zu sehen.


Da haben Sie nicht genau hingeschaut (lacht).


Inwiefern haben sich die schlaflosen Nächte und grauen Haare gelohnt?


Wir greifen mit der Ausstellung «Einsiedeln und seine Fotograf(i)en» ein Thema auf, das bisher praktisch unbearbeitet war. Die Ausstellung und auch die ausführliche Begleitbroschüre porträtieren Einsiedler Fotostudios und ihre Fotografinnen und Fotografen. Fotografien von Einsiedeln sind viele bekannt, aber nie ist die Frage nach den Schöpfern der Bilder gestellt worden. Und nie sind die Fotografen in den Fokus gerückt worden. An der Ausstellung und ausführlicher in der Chärnehus-Schrift Nummer 45 kommen spannende Biografien zum Vorschein. Zudem ist das anspruchsvolle Fotografenhandwerk im heutigen schnellknipsenden Smartphone-Zeitalter in Vergessenheit geraten.


Ihre Familie, ihr Mann und der dreijährige Filius, dürften in den letzten Wochen und Monaten zu kurz gekommen sein.


Ja, das ist so! Meine Familie hat glücklicherweise noch einige Extrahüteeinsätze geleistet und hat mir, wo immer möglich, den Rücken freigehalten.


Wie haben Sie die Vernissage mit 120 geladenen Gästen erlebt?


Es war eine enorme Wertschätzung unserer Arbeit, dass so viele anwesend waren. Zudem ist es nach zwei Jahren intensiver Arbeit schön, das Ergebnis endlich der Öffentlichkeit vorstellen zu können.


Welche Feedbacks haben Sie an der Vernissage zum einen auf die Ausstellung, zum andern auf die Broschüre bekommen?


Die Rückmeldungen waren sehr positiv. Die Ausstellungsgestaltung ist bei den Vernissagegästen und bei den mitwirkenden Fotografinnen und Fotografen sehr gut angekommen. Der Nachbau des ehemaligen Fotostudios Lienhardt-Gasser, mit der Möglichkeit, Selfies vor der originalen historischen Fotokulisse zu machen, ist rege genutzt worden (lacht.)


Die 120-seitige Ausstellungs-Begleitbroschüre hat ebenfalls verdiente Anerkennung gefunden. Welche Beziehung haben Sie zu Fotografen und Fotografien?


Ehrlich gesagt hatte ich noch nie so wenig Ahnung von einem von uns bearbeiteten Ausstellungsthema wie diesem, hauptsächlich auf die Fotografen und ihr Handwerk bezogen. Ich mache privat Familienfotos und knipse ab und zu mit dem Smartphone. Die Technik, mit der das Bild auf den Chip kommt oder früher auf eine Glasplatte, war mir nicht wirklich klar. Jetzt verstehe ich die Vorgänge etwas besser, alles ist mir aber auch jetzt noch nicht ganz klar (lacht).


Was lösen Fotos bei Ihnen aus?


Für mich wecken Fotos Erinnerungen. Sie erzählen Geschichten und bilden, wie auch an der Ausstellung zu beobachten, Gesprächsstoff. Als Historikerin nutze ich Fotos als historische Quellen. Und durch die Auseinandersetzung mit Profi-Fotografien aus unterschiedlichen Jahrzehnten für die Ausstellung berührt und beeindruckt mich die Qualität, die teilweise primitiv anmutende Fotoapparate hervorgebracht haben.


Sie haben sich bei dieser Ausstellung vom Film «Foti Fränzel» inspirieren lassen. Welchen Stellenwert hat Franz Kälin senior für die Fotografie in Einsiedeln?


Die Fotos von Franz Kälin senior dokumentieren über 40 Jahre Einsiedeln und seine Bewohner, seine Häuser, seine Vereine, seine Feste – eine grossartige zeitgeschichtliche Bildersammlung.


Welche Bedeutung haben Einsiedeln und seine Fotografen und seine Fotografien, wenn sie in einen grösseren Zusammenhang gestellt werden?


Einsiedeln hat einerseits durch seine Bedeutung als Klosterdorf stets einheimischen und auswärtigen Fotografen Stoff für Aufnahmen geboten, seien es kirchliche Anlässe, das Welttheater oder das Jahrhundertwerk des Sihlseebaus, die als Sujets schweizweit auf Interesse gestossen sind. Anderseits war Einsiedeln als Wallfahrts- und Reiseziel sowie als Hochburg des Druck- und Verlagswesens ein Ort, an dem es sich gelohnt hat, ein Fotostudio zu eröffnen. Neben einheimischer Kundschaft haben bis etwa in die 1950er-Jahre viele auswärtige Gäste ihren Aufenthalt im Klosterdorf genutzt, sich eine bleibende Erinnerung in Form einer Fotografie machen zu lassen.


Welches war für Sie die grösste Herausforderung als Kuratorin dieser Ausstellung?


Aus der Fülle an Fotomaterial auszuwählen, war nicht leicht. Zudem mussten wir uns entscheiden, welche Fotografen wir an der Ausstellung und in der Broschüre porträtieren. Wir haben uns für jene Fotografinnen und Fotografen entschieden, die vor oder seit Jahrzehnten ein eigenes Studio in Einsiedeln betrieben haben oder betreiben.


Wie lässt sich diese Ausstellung thematisch in Ihre sechste im Chärnehus einordnen?


Wie immer ist der Einsiedler Bezug auch an dieser Ausstellung zentral. Wir möchten erneut möglichst viele Leute ansprechen. Fotos und Bilder sind beim Publikum immer gern gesehen.


Das Highlight der Ausstellung ist für viele sicher das nachgebaute Fotostudio mit Labor und Dunkelkammer der Einsiedler Fotografen Lienhardt und Gasser. Sehen Sie das auch so?


Ja! Der Studio- und Labornachbau sind Ausstellungselemente, die den Besucherinnen und Besuchern ermöglichen, die zweidimensionale Fotografie und das Fotografenhandwerk dreidimensional und möglichst 1:1 zu erleben. Das vom Schweizerischen Landesmuseum seit 2009 verwaltete Lienhardt-Gasser-Interieur mit eindrücklicher Kamera, gemalter Fotokulisse und originalem Mobiliar wieder hier in Einsiedeln zu zeigen, war uns ein grosses Anliegen. Die zehnköpfige Ausstellungsgruppe arbeitet ehrenamtlich.


Ist das bei einer so grossen Ausstellung noch zeitgemäss?


Einige Leute singen in einem Chor oder machen Mannschaftssport, wir machen Ausstellungen in unserer Freizeit (lacht). Die eigenen Ansprüche an unsere Ausstellungen und die Begleitschriften sind laufend gestiegen. Dies zu überdenken und eventuell auch etwas herunterzuschrauben, ist sicherlich angebracht. Fakt ist, dass Kulturarbeit generell schlecht bis gar nicht honoriert wird. Es ist meines Erachtens nicht die Frage, ob dieser enorme ehrenamtliche Aufwand zeitgemäss ist, sondern, was uns als Gesellschaft oder öffentliche Hand solche Kulturarbeit wert ist und wie wir sie unterstützen können und wollen.


Sie haben ein Budget von rund 80’000 Franken und hoffen, eine schwarze Null zu schreiben. Wie gross ist allein der finanzielle Druck?


Wir realisieren nur Ausstellungen, wenn die Kosten gesichert sind. Bei einem Defizit müssten wir mehr aus unserer Ausstellungsgruppenkasse berappen, was sich dann auf die Reserven für die kommende Ausstellung auswirken würde. Allein die Broschüre kostet 20’000 Franken, wobei Layout und Druck 18’000 Franken ausmachen.


Wieso erscheint die Broschüre im digitalen Zeitalter noch in gedruckter Version?


Die Schriften des Kulturvereins Chärnehus sind umfassende Wissensspeicher über eine Ausstellung hinaus geworden und jeweils auch die Weihnachtsgabe an unsere Vereinsmitglieder. Da empfinde ich ein gedrucktes Buch als angemesseneres Mitgliedergeschenk gegenüber einem PDF zum herunterladen. Solange es finanziell irgendwie machbar ist, möchten wir die Schriften gedruckt herausgeben.


Wem empfehlen Sie die Ausstellung «Einsiedeln und seine Fotograf( i)en»?


Die Ausstellung ist für Jung und Alt spannend. Und zudem ist der Eintritt frei. Wir zeigen neben Fotografien auch Filmausschnitte. Wer nicht gerne liest oder Zusatzinfos wünscht, kann sich gratis einen Audioguide ausleihen. Vieles kann auch selber ausprobiert werden. Für Kindergarten- und Schulklassen bieten wir kostenlos stufengerechte Führungen an.


Susanna Bingisser, sonst noch etwas Spezielles aus Ihrer Sicht?


Die Ausstellung zeigt einiges noch kaum Gesehenes. Darunter sind fast 150-jährige Stereofotografien von Einsiedeln vom wiederentdeckten Fotografen Pierre Joseph Rossier und eine erst einen Tag vor der Vernissage eingetroffene eindrückliche Benziger Familien-Fotografie, aufgenommen 1857 vom Einsiedler Marian Schönbächler und gefunden in einem Zürcher Brockenhaus.


Einsiedler Anzeiger / Interview: Urs Gusset

Autor

Einsiedler Anzeiger

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Publiziert am

11.12.2018

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