Wähnte sich «falsch berühmt»: Friedrich Dürrenmatt. Bilder zvg
Wähnte sich «falsch berühmt»: Friedrich Dürrenmatt. Bilder zvg
Pflichtstoff in den Schulen: Einer von Dürrenmatts verfilmten Krimis.
Pflichtstoff in den Schulen: Einer von Dürrenmatts verfilmten Krimis.

Literatur

Wie Friedrich Dürrenmatt zum Benziger Verlag kam

Am 5. Januar feiert die literarische Welt den 100. Geburtstag von Friedrich Dürrenmatt. Neben zahlreichen anderen Sendungen bringt Radio SRF1 an vier Montagnachmittagen den 1952 im Benziger Verlag herausgegebenen Kriminalroman «Der Richter und sein Henker» in einer Hörspielfassung.

Wer am 15. Dezember 1950 den «Schweizerischen Beobachter » aufschlug, konnte Folgendes lesen: «Der Beobachter hat dem jungen Schweizer Dramatiker Friedrich Dürrenmatt, dessen Stücke in Zürich und Basel starke Beachtung gefunden haben und der zu grossen Hoffnungen berechtigt, den Auftrag gegeben, einen schweizerischen Kriminalroman zu schreiben.» Wie heute noch kam der «Beobachter » alle vierzehn Tage heraus, und «Der Richter und sein Henker» erschien in Fortsetzungen. Einfach sei die Zusammenarbeit mit dem eher chaotischen Dürrenmatt nicht gewesen. Der Kulturredaktor der Zeitschrift sei mehr als einmal nach Ligerz am Bielersee gepilgert, um die weiteren Kapitel abzuholen. Auch beim Krimi «Der Verdacht», den Dürrenmatt ein Jahr später für den «Beobachter» schrieb, tat er sich nicht leicht mit diesem Auftrag: «Hier die versprochenen Kapitel. Ich kam diese Woche wieder nicht recht zur Arbeit. Die Krankheit meiner Frau, die überdies noch erwartet, zwang mich die Tätigkeit einer Hausfrau zu übernehmen, endlich ist Hilfe gekommen, und nun kann ich die Mord-und-Totschlag-Geschichte weiterspinnen.»

Schreiben zum Lebensunterhalt


Ende der 40er-Jahre war Dürrenmatt bereits mit Stücken wie «Es steht geschrieben» oder «Romulus der Grosse» auf den Theaterbühnen präsent. Um Geld zu verdienen, schrieb er aber auch Hörspiele fürs Radio, Drehbücher für den Film, Texte für das legendäre «Cabaret Cornichon» und Theaterkritiken für die «Weltwoche ». Er habe sich mehr verzetteln müssen als heute, erinnerte er sich 1973 in einem Gespräch. Und mit Blick auf alle diese Arbeiten meinte er: «Was für herrliche Ideen einem einfallen, wenn man Geld braucht!» Die Tatsache, dass ein Kriminalroman, der später weltberühmt wurde, ursprünglich in einer Zeitschrift als Fortsetzungsroman erschienen war, würdigt der emeritierte Literaturprofessor Peter von Matt in seinem Buch «Die tintenblauen Eidgenossen» 50 Jahre später so: «Der Erzähler Dürrenmatt begann als Volksschriftsteller, in einer Zeitschrift, einem Heftli. Mit dessen Verbreitung verglichen, waren die ersten Theateraufführungen zahlenmässig eine Randerscheinung. Der ‹Beobachter› lag damals auf jedem Familientisch. Weder Max Frisch noch Robert Walser hätten je für ein Heftli geschrieben, Friedrich Glauser schon. Die Heftli waren sogar Glausers eigentliches Medium.»

Der Dichter in wilden Wehen


Der «Beobachter» bot Dürrenmatt für seinen ersten Krimi 3000 Franken. Dies hat die Zeitschrift vor 18 Jahren geschrieben, als sie an den Abdruck des Romans erinnerte. Der Autor selber sagte in einem Gespräch 1977, er habe für «Der Richter und sein Henker» nur 1000 Franken bekommen, für «Der Verdacht » dann das Doppelte. Für diesen zweiten Krimi entschied sich der «Beobachter», weil der erste bei den Leserinnen und Lesern «lebhaften Applaus» ausgelöst habe. Auch den zweiten Fortsetzungsroman schrieb Dürrenmatt unter erschwerten Bedingungen. Ein Brief an den Arche Verlag zeugt davon: «Da es mir den ganzen Sommer über reichlich schlecht ging, bis ich endlich mit einem wunderschönen Koma ins Spital eingeliefert wurde und nun fleissig Insulin spritze, mich im übrigen über meine Tochter freue, die mir gleichzeitig meine Frau geboren; da ich des Weiteren ohne einen Rappen Geld und mit vielen ungeduldigen Verlegern dasitze, die sich mit Recht über mich sehr ärgern, oder besser über meinen armseligen Geist, der langsam wie eine Kröte arbeitet, sodass nicht einmal der Roman im ‹Beobachter› fertig gestellt werden konnte – da dies nun einmal so ist, entschuldigen Sie, lieber Herr Schifferli, dass Sie warten mussten und nehmen Sie die jämmerlichen Fragmente in Empfang, mit denen ich mich dieses Jahr herumschlug, in der Absicht, Werke zu gebären: Es waren wilde Wehen. Herzlichst Dürrenmatt.»

Der Coup des Benziger Verlags


Peter Schifferli war der Verleger des 1944 gegründeten Arche Verlags, in dem von Dürrenmatt 1952 der Erzählband «Die Stadt» erschien. Er hätte damals auch die beiden Heftli-Romane herausgeben können. Am Schluss des vorher zitierten Briefes fügte Dürrenmatt nämlich ein wichtiges PS an: «Benziger interessiert sich auch für die Beobachterromane, aber Sie haben selbstverständlich das Vorfahrtsrecht. » Dieses «Vorfahrtsrecht» nahm der Verleger nicht in Anspruch und überliess die finanziell erfolgreichsten Bücher Dürrenmatts dem Benziger Verlag. Diesen führte damals Gustav Keckeis, der Vater des Lektors und späteren Verlagsleiters Peter Keckeis. Mögliche Erklärungen für den Verzicht des Arche Verlags liefert Ulrich Weber in seiner kürzlich bei Diogenes erschienenen Dürrenmatt-Biografie: «Dass Schifferli nicht in der Lage gewesen sei, ihm einen Vorschuss dafür zu zahlen, den er dringend benötigt habe (wie sich Dürrenmatt 1973 erinnert), ist wohl nur die halbe Wahrheit – die andere Hälfte, dass Schifferli damals nicht viel vom Genre des Kriminalromans hielt, das kaum literarisches Prestige vermittelte.» Peter von Matt teilt diese Sicht der Dinge: «Es scheint, dass die Verlage nicht viel auf den Roman des neuen Heftli-Schreibers Friedrich Dürrenmatt gaben. Die Buchausgabe erschien erst zwei Jahre später – 1952 – bei Benziger in Einsiedeln. Was auch merkwürdig war – der monumentale Protestant in dem sehr katholischen Verlag. Von den zwei Einsiedler Jünglingen Daniel Keel und Rudolf Bettschart wusste Dürrenmatt damals noch nichts. Er konnte nicht ahnen, dass sie ihn als Diogenes-Verleger Jahrzehnte später aus der schwersten Schaffenskrise seines Lebens retten und ins literarische Rampenlicht zurückholen würden.»

Der Erfolg bleibt in der Familie


Die Gesamtauflage der Beobachter-Krimis umfasst inzwischen mehr als 6 Millionen Exemplare weltweit. Seit 1978 sind die Rechte beim Diogenes Verlag. Ruedi Bettschart hat sie damals seinem Cousin Oscar Bettschart, Direktor des Benziger Verlags, abgekauft – mit einer «verhandlungstechnischen Glanzleistung», wie es in der Verlagschronik des Diogenes Verlags heisst. Ein Jahr später wechselte Dürrenmatt mit all seinen – auch den noch nicht geschriebenen – Werken zu Diogenes. «Wotsch du mi?», fragte er Daniel Keel, den andern der beiden «Einsiedler Jünglinge», und dieser wollte. «Der Richter und sein Henker » wurde mehrfach verfilmt und ist in vielen Schulen Pflichtstoff. Dürrenmatt hat das offenbar nicht nur als angenehm empfunden. 1985 klagte er in einem Gespräch mit dem Literaturkenner und Journalisten Fritz J. Raddatz: «Ich habe immer das Gefühl, ‹falsch› berühmt zu sein – durch den ‹Richter und sein Henker›, durch die ‹Alte Dame›, durch ‹Die Physiker› –, dass das, was ich sonst geschrieben habe, nicht zählt, und darunter gibt es Stücke und Prosa, die ich für wichtiger und besser halte als meine Evergreens.»

«Der Richter und sein Henker» von Friedrich Dürrenmatt auf Radio SRF1 in vier Folgen mit Hans Gerd Kübel als Erzähler. Regie: Franziskus Abgottspon. Sendetermine: 21.12.20, 28.12.20, 04.01.21, 11.01.21 jeweils um 14.00 Uhr.

Einsiedler Anzeiger / Walter Kälin

Autor

Einsiedler Anzeiger

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Kategorie

  • Literatur

Publiziert am

18.12.2020

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