Musik
Jede «Königin» hat ihren eigenen Charakter
Unser Kanton ist reich an einzigartigen Kirchenorgeln. Sie werden als «Königinnen von Schwyz» bezeichnet. SchwyzKultur Plus würdigt die majestätischen Instrumente mit vier kommentierten Konzerten an vier Standorten. Das erste fand am Samstagabend in der Klosterkirche statt.
«Einsiedeln ist ein geistiger und geistlicher Ort, der kaum übertroffen werden kann», erklärte Marco Brandazza in seiner Ansprache. Der ehemalige Leiter des Orgeldokumentationszentrums der Hochschule Luzern führte durch das Programm und bereicherte die Vorführung mit technischen und historischen Informationen. Die Orgel fasziniert durch ihr prachtvolles Aussehen, durch ihre Vielseitigkeit und ihre beeindruckende Kraft. Sie imitiert andere Instrumente, produziert ein grosses Spektrum an Klangfarben und ist fähig, ganze Orchester zu ersetzen.
Tausend kleine Details
Im Kloster Einsiedeln gibt es vier Orgeln, und jede «Königin» hat ihren eigenen Charakter. Stiftsorganist Pater Theo Flury kennt sie in- und auswendig. Er liess die nterschiedlichen Instrumente erklingen und zeigte die Eigenheiten hörbar auf. Als erstes bespielte er die zeitgenössische Marienorgel, die sich am barocken Klangideal orientiert. Sie wurde 1988 eingeweiht. Pater Theo demonstrierte in einzelnen Schritten die Registerkombinationen und machte deutlich, wie gewisse Tonfarben und -volumen entstehen. Jonas Bless vom Verein SchwyzKulturPlus erklärte dem Publikum, welche Nuancen zu hören waren. Einleitend wurde das Plenum, als Skelett des Klangleibes, vorgeführt. Sanfter und weicher folgte die Familie der Flöten. Bei der Schwebung erklangen pro Ton zwei leicht unterschiedlich gestimmte Pfeifen, was ein leichtes Vibrato erzeugte. Die ersten Beispiele basierten auf Pfeifen, welche ähnlich gebaut sind wie Blockflöten. Dann wurde die Klangweise der Zungenregister vorgeführt, die Klarinette, Oboe oder Fagott imitierten.
Siebenhundertjährige Orgelgeschichte
Unter dem Begriff Rossignol war das Zwitschern einer Nachtigall zu hören. Als mehr Pfeifen dazu kamen, blubberte es wie Wasser in einem Gefäss. Der Zimbelstern ist ein mechanisches Spielwerk mit kleinen Glöckchen, die märchenhaft bimmelten. Die vorgeführten Klangmuster zeigten, wie facettenreich die Orgeln Stimmungen erzeugen können. Durch diesen eindrücklichen Lehrgang konnten die folgenden Konzertstücke mit tieferem Verständnis genossen werden. Ein Präludium im norddeutschen und eine Suite im französischen Barockstil rundeten den Block an der Marienorgel ab. «Im Jahr 1314 wurde in der Klosterkirche die erste Orgel eingebaut », erklärte Marco Brandazza und schilderte die imposante siebenhundertjährige Orgelgeschichte in Einsiedeln. Mit dem Einmarsch der Franzosen (1798) brach der Orgelbau für eine Weile ein. Die Gnadenkapelle wurde durch die Revolutionstruppen zerstört, der Abt und die Mönche mussten flüchten. Erst 1803 erhielten die Geistlichen ihr Kloster zurück. Mitte 18. Jahrhundert wurde die Chororgel gebaut. Pater Theo Flury improvisierte auf ihr im mitteldeutschen Barockstil «Wer nur den lieben Gott lässt walten». Auf der Mauritiusorgel nahm er dieses Stück wieder auf und spielte das Trostlied als Choralfantasie nach dem Stil von Max Reger, dramatisch, emotional, geballt. Beide Versionen zogen das Publikum in Bann, das Thema ist top aktuell. Die Ursprungskomposition stammt aus dem dreissigjährigen Krieg und ist dem Gottvertrauen gewidmet.
Lieblich und stimmungsvoll
Die Mauritiusorgel wurde 1994 eingeweiht. Ihr Ideal entspricht der romantischen Empfindungswelt, chorischer Klang, raumfüllend. Sie eignet sich aber auch für zeitgenössische Werke. Pater Theo Flury demonstrierte in einem weiteren Lehrgang ihre Besonderheiten. Dabei schilderte er musikalisch die Crescendo-Walze. Mittels Bedienung eines Trittes oder einer Rolle werden die Register der Reihe nach abgerufen. So entsteht ein orchestrales Crescendo und bei umgekehrter Handhabung ein Diminuendo. Ein eindrückliches Beispiel zeigte er anhand von Jalousien, die durch einen speziellen Mechanismus auf- und zuklappen und genau das Geräusch von schlagenden Fensterläden an Häuserwänden vermitteln. Mit Improvisationen zum Präludium von Felix Mendelssohn Bartholdy liess Pater Theo Flury das Publikum in der Romantik schwelgen. Lieblich und stimmungsvoll ging es weiter mit dem Choral von César Franck.
Ein fesselnder Spannungsbogen
Als Krönung des kommentierten Konzertabends brillierte Pater Theo Flury mit einer Hommage an Jean Guillou. In dieser Improvisation wurden die Register der Mauritiusorgel auf die modernste Art ausgereizt. Es klang wie in einem Thriller. Man hörte Bohren, Hupen, Kratzen. Es tönte, als seien ratternde Maschinen am Werk, elektronisches Piepen, Schleifen, Fräsen, dann Posaunen. Ein unheimlich fesselnder Spannungsbogen von musikalischem Handwerk, Technik und Gefühlen, mit pointiert klopfendem Finale.
Einsiedler Anzeiger / Anita Chiani
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Einsiedler Anzeiger
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