Dies & Das
Wie die Schweiz zu ihrer Identität fand
An einer Führung durch das Bundesbriefmuseum wurde der oft steinige Weg zur Nation Schweiz erklärt.
«Identität baut auf einer gemeinsamen Herkunft, einer Sprache, der Geschichte, auf gemeinsamen Wurzeln auf», erklärte Anina Michel, Leiterin des Bundesbriefmuseums in Schwyz, den über 30 Interessierten am Samstag auf einer Führung durch das Museum. «Das ist bei einer Nation nicht anders als bei einer Familie.» Doch bei der Schweiz ist das komplizierter, als uns der Rütlischwur 1291 oder die Geschichte von Wilhelm Tell erzählen wollen. Ein wichtiger Schritt dazu war das «Chronicon Helveticum» des Historikers Aegidius Tschudi, die erste Chronik der Schweizer Frühgeschichte, verfasst zwischen 1532 und 1572. Tschudi erzählt darin die Gründungsgeschichte so, wie sie noch bis vor 30 Jahren in den Schulbüchern stand.
1370 taucht erstmals das Wort «Eidgenosse» auf
Dies habe aber mit der Realität nichts zu tun, korrigierte Anina Michel. Neueste Forschungen ergaben, dass es kein eigentliches Gründungsdatum der Eidgenossenschaft gibt, wie das der 1. August veranschaulichen soll. Denn die Beziehung der als «Eidgenössische Orte» bezeichneten Stände sei komplexer gewesen als die «süffige» Geschichte, erzählt auch von Friedrich Schillers Wilhelm Tell. Vielmehr habe sich im späten Mittelalter ein kompliziertes Bündnissystem im süddeutschen Raum entwickelt – wie Michel anhand des «Beitritts » von Zürich zum Bund erläuterte. Zürich wurde damals von den Grafen von Rapperswil bedroht und rief die militärische Hilfe von Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern und Zug an. Diese Stände hätten die Schwäche Zürichs ausgenutzt und Bedingungen gestellt – von Bündnis sei im vorhandenen Vertrag keine Rede. Kurz darauf, im Pfaffenbrief von 1370, taucht jedoch erstmals das Wort «Eidgenosse» auf. Im 15. Jahrhundert verfestigte sich das Geflecht von Bündnissen wegen der Machtkämpfe des deutschen Königs Sigismund und den aufstrebenden Habsburgern. In seiner Not bat der aus dem Geschlecht der Luxemburger stammende Sigismund die Eidgenossen um Unterstützung und sicherte ihnen Sonderrechte zu sowie die Gebiete, welche sie den Habsburgern abnehmen können. Das taten sie und eroberten 1415 den Aargau, die Stammlande der Habsburger. Daraus hat sich die Tagsatzung herausgebildet – eine erste Zusammenkunft der eidgenössischen Stände. Dadurch entwickelte sich eine innere Verfestigung der eidgenössischen Orte und das Gebiet bekam äussere Konturen – «Ein Territorium, das sich einen Namen gab», ergänzte Anina Michel. «Das war ein wichtiger Schritt hin zur Nation.»
Der Name von Schwyz, die Fahne von Mauritius
Mit den Siegen in den Burgunderkriegen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden die europäischen Grossmächte auf die Eidgenossen aufmerksam. Sie wurden, abgeleitet von Schwyz, als «Schweizer» bezeichnet. Doch dies galt eher als Schimpfwort, weil die «Schwyzer» als bäuerlich verrohtes und unkontrollierbares Volk galten, das seine Söldner nicht im Griff hatte. Es tat sich auch deshalb ein Graben zwischen den Städten und den Länderorten auf. Der drohende Bürgerkrieg konnte nur dank eines klugen Kompromisses am Stanser Verkommnis 1481 abgewendet werden. «Das war ein wichtiger Wendepunkt zur Identitätsstiftung der Schweiz», erklärte Anina Michel. Die Schweizer Fahne jedoch geht nicht auf Schwyz, sondern auf den im späten Mittelalter verehrten Heiligen Mauritius zurück, der einen Schild in der Hand hält, mit weissem Kreuz auf rotem Hintergrund. Denn damals gab es noch keine Uniformen. Um bei Schlachten Freund und Feind unterscheiden zu können, nähten sich die Eidgenossen dieses Kreuz auf die Brustkleidung – erstmals in der Schlacht bei Laupen 1339.
Bundesfeier 1891 wurde als identitätsstiftend inszeniert
Erstmals wurde das uns heute bekannte Schweizer Kreuz aber erst 1815 auf einem Siegel der sich herausbildenden Schweiz benutzt. Bei der Bundesgründung 1848 wurde die Schweizer Fahne dann offiziell als «weisses Kreuz auf rotem Feld» definiert. Um nach dem Sonderbundskrieg 1847 die Auseinandersetzungen zwischen liberalen und konservativen Kräften zu glätten, musste eine gemeinsame Geschichte geschrieben werden. Hier griff der Bundesrat 1889 auf das eingangs beschriebene «Chronicon Helveticum » zurück, mit Rütlischwur und Tell. Er setzte das Gründungsdatum auf den 1. August 1291 an und liess in Schwyz dazu 1891 die 600-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft ansetzen. «Das war wichtig für das Gemeinschaftsgefühl und die Herausbildung zur Identität der Schweiz», schloss Michel ihre Führung.
Bote der Urschweiz / Franz Steinegger
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