Musik

Bachs Weihnachtsoratorium bewegt das zusammengerückte Kirchenschiff

Am 23. Dezember war die reformierte Kirche Wollerau in Wilen über den letzten Platz hinaus gefüllt. Der Projektchor Höfe präsentierte im Rahmen der «Nacht vor der Nacht» Bachs Weihnachtsoratorium und zeigte, warum dieses Werk auch heute weit mehr ist als festliche Tradition.

Dass diese Konzertreihe längst Tradition ist, zeigte sich an diesem Abend einmal mehr. Bereits eine halbe Stunde vor Konzertbeginn waren keine Sitzgelegenheiten mehr verfügbar. Schon 2023 waren hier die Kantaten vier bis sechs aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium aufgeführt worden, nun folgten die ers-ten drei. Gesungen wurden diese vom Projektchor Höfe, ergänzt durch Gastmusikerinnen aus Uster und Zürich sowie Instrumentalisten aus dem Umfeld des Sinfonieorchesters Basel. Für Alexander Seidel, musikalischer Leiter und Dirigent, bezeichnet «Die Nacht vor der Nacht» das bewusste Zelebrieren des Moments des Davors. Advent sei die Zeit des Wartens, sagte er im Gespräch: «Für mich persönlich ist dieses Jahr das Warten auf gesellschaftlichen Frieden, Frieden in Europa und der Welt und das Warten auf Versöhnung besonders wichtig.»

 

Vom Hof zur Krippe

Zur Aufführung kam eine kammermusikalische Fassung «à 12», die Seidel gemeinsam mit Matyas Bartha erarbeitet hatte. Die Besetzung war «reduced to the max»: Streichquintett, ausgewählte Bläser, Orgel und Cembalo. Seidel machte darauf aufmerksam, dass ein grosser Teil dieser Musik ursprünglich weltlich war, auch jene Klänge, die den bekannten Ausruf «Jauchzet, frohlocket» tragen. Bach hat vorhandene Stücke neu verwendet, oft sind diese zuvor nur ein einziges Mal bei Anlässen wie Geburtstagsfeiern Adliger erklungen. Im Weihnachtsoratorium haben sie einen neuen Text und eine neue Bedeutung erhalten. Bach erzähle hier, kunstvoll gesetzt, eins zu eins die Geschichte der Geburt Jesu in Betlehem, so Seidel. Selbst der Stall bleibe hörbar, der Schmutz ganz versteckt in einem Choral. Gerade daraus werde deutlich, dass es keinen grossen Luxus brauche, um sich festlich zu fühlen. Was nicht fehlen dürfe, seien Liebe und Zuwendung. Diese Haltung spiegelte sich eindrücklich im Musizieren. Chor und Ensemble überzeugten mit Präzision, Transparenz und stilistischer Sicherheit. Besonders stimmig fügte sich die Trompete ein, die von der Kanzel herabspielte und den Raum klanglich öffnete.

 

Von Licht und Schatten

Zwischen den Kantaten wandte sich Seidel mit kurzen Einführungen ans Publikum, die zugleich zum Lüften des sakralen Raums genutzt wurden. Bereits der erste Choral «Wie soll ich dich empfangen» eröffnete einen weiteren Deutungshorizont. Seine Melodie ist heute vor allem mit «O Haupt voll Blut und Wunden» aus der Matthäuspassion verbunden, war zu Lebzeiten Bachs jedoch als adventliches Lied geläufig. Als besonders zentral bezeichnete Seidel die Arien der Altstimme, weil sie auch Zweifel zulassen, allen voran «Schliesse mein Herze» in der dritten Kantate, als Ausdruck tastender Hoffnung und bewusster Fragilität. Im Gespräch äusserte er zudem, dass ihn diese Textzeilen immer wieder mit unbequemen Gedanken konfrontierten. Wenn Bach vom Herrscher spreche, der die Welt erhält und doch in der Krippe liegt, stelle sich für ihn die Frage, welcher heutige Mächtige bereit wäre, sich daran messen zu lassen.

Die Vokalsolisten gaben dem Abend entscheidende Kontur. Marion Ammann gestaltete die Sopran- und Altpartien mit Wärme und innerer Sammlung, Nino Aurelio Gmünder führte als Evangelist ruhig und erzählerisch präzise durch die Weihnachtsgeschichte, Christian Hilz verlieh den Basspartien Gewicht und Bodenhaftung. Nach dem letzten Ton blieb ein Moment Stille, ehe anhaltender Applaus einsetzte. Standing Ovations kennzeichneten den Abschluss einer Darbietung mit hoher musikalischer Qualität, inhaltlicher Tiefe und spürbarem Gemeinschaftserlebnis.

 

Höfner Volksblatt und March-Anzeiger / Micha Brandstetter

Autor

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Kategorie

  • Musik

Publiziert am

29.12.2025

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