«Die Erfindung des Ungehorsams» ist ein Buch, das nachklingt und Gedanken zum Ausbrechen aus der Programmierung aufwirft. Bild: Silvia Camenzind
«Die Erfindung des Ungehorsams» ist ein Buch, das nachklingt und Gedanken zum Ausbrechen aus der Programmierung aufwirft. Bild: Silvia Camenzind

Literatur

Die Frauen aus der Sexpuppenfabrik

Martina Clavadetschers neuer Roman «Die Erfindung des Ungehorsams» zeigt drei Frauen in drei Welten.

Die Frau im ersten Kapitel in Martina Clavadetschers neuem Buch «Die Erfindung des Ungehorsams» ist eigenartig. Irritierend, wie Iris, so ist ihr Name, sich in ihrer Wohnung in Manhattan verhält. Noch weiss man nicht, was an ihr fremd wirkt. Und ob man es später weiss oder nur zu wissen meint, bleibt offen. Die Autorin führt mit Iris hinein in diese Geschichte von drei Frauen in drei Welten, die miteinander verbunden sind. Die erste Frau führt zur zweiten, zu Ling in China. Als Leserin vermutet man in ihr eine Autistin. Als Zahlengenie mag sie die immer gleiche Alltagsstruktur. Sie ist die beste Mitarbeiterin in der Sexpuppenfabrik, in der sie die kopflosen Puppen, die am Laufband produziert werden, auf Fehler kontrolliert. Makellos müssen die Körper sein. Ling wird auserwählt, an einem Prototyp für die nächste Generation von Sexpuppen mitzuarbeiten, und zwar an einer, mit der man auch kommunizieren kann. Ling wird zur Vordenkerin für künftige Sexpuppen. Spätestens hier denkt man an Frankensteins Monster, an die Erschaffung von menschlichen Wesen und an künstliche Intelligenz.

Die Erfinderin lebte vor 200 Jahren


Doch diese Geschichte nimmt einen anderen Verlauf. Mit der dritten Frau geht es zurück ins Jahr 1815 nach England. Die Pionierin Ada Lovelace ist anders als die beiden anderen Protagonistinnen, eine Frau, die es wirklich gab. Martina Clavadetscher zeichnet im Buch das Leben der Mathematikerin auf eine packende Art nach und verwebt es gekonnt mit jenem von Ling in Südchina und jenem von Iris in Manhattan. Manches im Flechtwerk wird man erst später erkennen. Zuerst einmal fasziniert das Leben der Erfinderin und Vordenkerin an sich. Sie war ihrer Zeit weit voraus und wusste, wie Maschinen Operationen ausführen können. «Aber die Maschine wird nie etwas gänzlich Eigenständiges hervorbringen», sagt Ada Lovelace, die gegen die Zwänge ihrer Zeit ankämpft. Keine Eigenständigkeit? Daran zweifelt man später im Buch, wenn die Geschichte wieder zu Iris zurückkehrt. Martina Clavadetscher schreibt in überraschenden Bildern und gleichzeitig voller Poesie. Auch ein feiner Humor sorgt für Lesevergnügen. Den Zeilensprung verwendet sie nicht mehr so exzessiv wie im Vorgängerbuch «Knochenlieder », was das Lesen angenehmer macht. Überraschend ihre Einfälle und Übergänge: Da fällt man über eine ganze Seite hinweg zurück ins Jetzt. Da wirft einer Ketten ab, dass es nur so kracht. Und die Frauen, die aus dem Presswerk stammen, verbinden sich über ihr Denken und befreien sich kollektiv. Es sei aber nicht zu viel vom Inhalt verraten. Doch eines ist klar: Nach der Lektüre ratterts weiter im Hirnapparat.

Bote der Urschweiz / Silvia Camenzind

Autor

Bote der Urschweiz

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Kategorie

  • Literatur

Publiziert am

12.02.2021

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