Die Schriftstellerin Margrit Schriber: Ihr neues Werk erscheint im August, ein Roman aus dem Jahr 1978 wurde eben neu aufgelegt. (Bild Yvonne Böhler)
Die Schriftstellerin Margrit Schriber: Ihr neues Werk erscheint im August, ein Roman aus dem Jahr 1978 wurde eben neu aufgelegt. (Bild Yvonne Böhler)

Literatur

Margrit Schriber sieht genau hin

Der Verlag Pro Libro in Luzern hat Margrit Schribers Roman «Kartenhaus» aus dem Jahr 1978 neu herausgegeben. Ein einzelnes Buch also aus den letzten Siebzigerjahren? Mehr: ein einzigartiger Zugang zur Welt dieser Autorin.

Wie wird das noch enden? So fragt man sich beim Lesen von Margrit Schribers zweitem Roman «Kartenhaus» bald.
Denn das Haus, in dem Hanna, die Hauptfigur, weilt und wohnt und wächst, es zerrieselt, zerbröselt, zerfällt. Zwar: Bei aller Baufälligkeit – das Haus stürzt nicht vollends ein. Es steht noch da, auch auf den letzten Romanseiten. Aber: Der Vater ist ausgezogen. Die Eltern sind geschieden. Die Mutter hat in der Einengung durch bürgerliche Zwänge ihre innere Autonomie verloren. Das Haus ist demzufolge auch der Tochter nicht mehr bergender Hort alter Träume.

Hannas Haus der Kindheit steht also bildlich für einen Seelenzustand, wie schon die Bauernhöfe bei Gotthelf oder Keller moralische Verluderung oder aber auch moralische Ordnung spiegeln. Und dieser Seelenzustand, er zeigt sich fragil, wie ein Kartenhaus eben: Ein Schubs – und weg ist die einst hohe Herrlichkeit, zusammengesackt, flach.

Eindrücke aus der Vergangenheit
Nun kann man einwenden, dieser Kartenhaus-Roman erzähle also weiss Gott nichts Neues. Die Literatur des 20. Jahrhunderts – kennt sie nicht Familienkonflikte und zerbrechliche Identitäten zuhauf? Schon wahr. Nur: Bei Margrit Schriber gibt es da einen Mehrwert. Sie erzählt nicht einfach nur, wie schwierig eine Jugend, wie peinvoll eine Selbstfindung war. Ihr Kunstverstand zeigt auch die lauernden Gefahren im Identitätsgefüge. Er macht einsichtig, wo dessen Verstrebungen brüchig sind, warum das Haus der Identität einzufallen, zu verlottern droht.

«Meine Erinnerungen sind mangelhaft», sagt Hanna einmal. Dieser Feststellung entsprechend kann sich Margrit Schriber nicht an eine pfeilgenau zusammenhängende Erzählausrichtung halten. Ihr Verfahren ist schwieriger, darum auch interessanter: Es führt vor, das freilich sehr zielsicher und genau, wie Eindrücke aus den Schatten der Vergangenheit ins Licht der erinnernden Gegenwart auftauchen.

Über Schnittstellen hinweg
Die Ich-Erzählerin zoomt das früher Erlebte an diese Gegenwart heran. Dabei macht sie einen präzisen Schnitt zwischen dem Damals und dem Heute. Das gelingt noch manch einem. Zugleich verbindet sie aber ihre Impressionen auch über die Schnittstellen hinweg. Sie baut Brücken für das Ineinandergreifen von einst und jetzt. Das gelingt manch einem nicht, der es auch versucht. Man schaue nur die Nabelschauliteratur der letzten Jahrzehnte darauf hin durch.

Schreiben als Treibsatz
Wie gelangt Margrit Schriber zu solcher Kunst? Sie sieht genau hin. Sie konzentriert dann auch ihre Darstellung auf schlagende Gestik, auf typische Situationen oder auf symbolgeladene Echos aus dem abendländischen Kulturraum. Solche Konzentration haucht den vergangenen Gestalten und Ereignissen Leben ein. Die Ich-Erzählerin im «Kartenhaus» scheint selber da und dort solche Verlebendigung als ihr dichterisches Prinzip anzudeuten. Erahnbar wird darum, was Margrit Schriber zum Schreiben geführt hat: statt Tod lebendige Schöpfung auf der «Erinnerungsbühne».

Nachwort von Beatrice von Matt
Ein dem Pro-Libro-Band beigegebenes, hervorragendes Nachwort Beatrice von Matts zeigt einleuchtend und mit interessanten Querbezügen: Der Roman «Kartenhaus» kann einen Zugang schaffen zum Gesamtwerk Margrit Schribers, er kann das Verständnis für ihr Schreibverfahren fördern. Dieses Schreibverfahren macht das Dargestellte durchsichtig auf anderes hin. Schribers eindrückliche Plastizität ist ein Treibsatz: eine Energie, die ganze Vorstellungskomplexe auferweckt, Einzelnes zu Zusammenhängen verwebt und jedenfalls über das Vordergründige hinausführt.

Und Brunnen-Ingenbohl?
Zu diesem Vordergründigen gehört übrigens manches aus der Region Schwyz: der Ingenbohler Klosterwald, die Schwestern, die Schifflände in Brunnen, das Leewassergebiet, die Kollegischüler mit ihren blauen Dächlimützen im alten Tram, das Kornmatt-Gelände, Lehrer Rogantini … . Margrit Schriber ist in Brunnen und Küssnacht aufgewachsen. Aus diesen Gegenden ist denn auch der Stoff des Romans.

Darum können gerade wir aus der Innerschweiz

Autor

Bote der Urschweiz

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Kategorie

  • Literatur

Publiziert am

21.07.2009

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