Nominiert für den Schweizer Buchpreis: Martina Clavadetscher. Bild: zvg
Nominiert für den Schweizer Buchpreis: Martina Clavadetscher. Bild: zvg

Literatur

«Schon die Nominierung ist eigentlich eine Auszeichnung»

Die Brunner Autorin Martina Clavadetscher wurde mit ihrem zweiten Buch «Knochenlieder» für den Schweizer Buchpreis nominiert. Morgen findet die Preisverleihung statt.

Wie war Ihre Reaktion, als Sie von der Nominierung für den Schweizer Buchpreis erfahren haben?

Ich habe mich natürlich sehr gefreut. Aber ich habe nicht damit gerechnet.

Was bedeutet Ihnen die Nominierung?

Das Schöne daran ist: Schon die Nominierung ist eigentlich eine Auszeichnung. Es bedeutet, dass man wirklich wahrgenommen wird, dass das Buch präsent ist und darüber gesprochen und geschrieben wird. Das ist natürlich Gold wert. Sonst könntest du ja auch für die Schublade schreiben.

Sie waren im Rahmen der Nominierung auf einer Lesetour und hatten in den letzten Wochen viele Pressetermine. Ist die Nominierung stressig?

Es ist streng-schön, würde ich sagen. Es ist schön, dass man ein bisschen herum- kommt. Wir haben in Frankfurt, Salzburg, Berlin, Bern und Zürich gelesen. Es ist aber auch sehr streng. Als Autorin ist man nicht dafür gemacht, so im Fokus zu stehen. Um schreiben zu können, ist man hypersensibel, arbeitet normalerweise zu Hause, in aller Ruhe. Ich bin deshalb auch froh, wenn es vorbei ist.

Sie möchten diesen Rummel um Ihre Person also gar nicht immer haben?

Nein, ich glaube nicht. Ich bin momentan auch recht blockiert in meiner Schreibarbeit. Ich warte auf die nächsten Termine, bereite mich darauf vor und danach bin ich sehr müde. Andererseits ist es auch schön rauszugehen, um ein Feedback zu erhalten.

Auf der Lesetour waren Sie mit den anderen Nominierten unterwegs. Spürten Sie da ein Konkurrenzdenken?

Nein, gar nicht, irgendwie hätten das die Leute gerne. Aber das ist ja absurd. Im Gegenteil, wir haben es sehr gut miteinander und hatten viele interessante Gespräche.

Warum absurd?

Erstens sind die Bücher so unterschiedlich. Die kann man gar nicht vergleichen. Und zweitens können wir jetzt nichts mehr leisten, unsere Arbeit ist getan. Jetzt ist die Jury dran.

Haben Sie die Bücher der anderen gelesen?

Das war mir zeitlich noch nicht möglich. Aber ich werde das sicher nachholen und ich freue mich auf jedes einzelne sehr, nachdem ich durch die Lesungen schon einige Einblicke hatte.

Heute ist die Jubiläumsfeier, und am Sonntag um 11 Uhr findet die Preisverleihung statt. Sind Sie aufgeregt?

Am Sonntag werde ich wahrscheinlich schon ein bisschen aufgeregt sein. Aber vermutlich auch müde. Denn zuerst gilt es jetzt, den Samstag zu überstehen mit den vielen Auftritten in Basel.

Haben Sie sich schon ausgemalt, wie es wäre, wenn Sie gewinnen würden?

(lacht und überlegt kurz) Sie haben uns gesagt, dass wir dann ein paar Worte sagen müssten. Aber das habe ich mir jetzt noch nicht so konkret überlegt… Ich wüsste, wem ich sicher danken würde.

Wie entstehen Ihre Geschichten? Schreiben Sie einfach drauflos?

Das ist sehr unterschiedlich. Im Fall von «Knochenlieder» habe ich mir am Anfang ein sehr starres Konzept mit diversen Regeln zugrunde gelegt und diese Struktur dann gefüllt mit vielen Freiheiten. So sind die drei Welten und die verschiedenen Figuren gewachsen.

Was hat dieses Konzept beinhaltet?

Die drei Teile spielen in drei verschiedenen Welten. Eine Art Überschreibungen von drei Märchen, die ich in eine zeitlose Umgebung oder eine nahe Zukunft transportiert habe. Weiter gibt es drei Generationen mit drei Frauenfiguren sowie die drei Leitmotiv-Tiere Wespe, Fledermaus und Schmetterling.

Schreiben Sie die Geschichten mehr für sich oder für die Leser?

Ich denke ehrlich gesagt gar nicht an die Leser. Das wäre auch falsch, finde ich, es würde mich einschränken. Ich weiss gar nicht, für wen ich genau schreibe. Ob für mich im Sinne von «es muss raus» – oder zu meinem eigenen Amüsement. Das lässt sich wohl gar nicht richtig beantworten.

Existieren die Welten, die Sie konstruieren, schon lange vor dem Schreiben in Ihrem Kopf?

Wenn ich mir eine Welt ausdenke, habe ich am Anfang nur einzelne Puzzleteile davon. Diese Welt ist noch sehr formbar und wächst erst während dem Schreiben. Teilweise auch auf sehr unerwartete Weise.

Wie meinen Sie das?

Vieles passiert erst während dem Schreibprozess und manchmal so, dass ich das nicht mehr selber entscheiden kann. Welten wie auch Figuren verselbstständigen sich gelegentlich. In «Knochenlieder» habe ich mich zum Beispiel sehr lange dagegen gewehrt, dass eine Figur stirbt. Aber es wurde plötzlich so deutlich, dass sie sterben muss. Das war sehr schmerzhaft.

Sie zeichnen in «Knochenlieder» ein sehr beklemmendes Zukunftsszenario einer total überwachten Welt. Stellen Sie sich so die Zukunft vor?

Tatsächlich sagen viele, «Knochenlieder» sei eine Dystopie, obwohl ich während dem Schreiben nie daran gedacht habe, eine Dystopie zu schreiben. Es hat aber nichts damit zu tun, dass ich mir die Welt exakt so vorstelle. Ich habe vielmehr versucht, das, was in der Gegenwart vorhanden ist, zusammenzupressen und zu übertreiben. Insofern finde ich auch nicht, dass ich ein krasses Zukunftsszenario zeige, sondern etwas sehr Gegenwärtiges, einfach überspitzt und weitergetrieben.

In «Knochenlieder» prallen Welten aufeinander. Märchen mischen sich mit Zukunftsdystopien. Auch die Sprache ist in den verschiedenen Teilen sehr unterschiedlich: von zeitloser, märchenhafter Sprache mit Flüchen und vielen Bildern aus der Natur über die Hackersprache mit vielen englischen Begriffen bis wieder zurück zur klassischen Märchenerzählung.

Diesen Kontrast der Sprachwelten habe ich bewusst so gesetzt. Ich finde, es spielt eine wahnsinnig grosse Rolle, wie man sich Geschehnisse und Geschichten erzählt: Ob auf sehr brutale Art und Weise oder eben märchenhaft, was sehr versöhnlich sein kann. Diese Sprachlichkeiten entlarven oft eine Haltung zur Welt übrigens nicht nur in der Fiktion, sondern auch im Alltag.

Ist das auch der Grund für die spezielle Form? «Knochenlieder» ist ja optisch ungewöhnlich gegliedert, manche Zeilen bestehen nur aus wenigen Worten oder sogar aus einzelnen Silben…

Ich habe das ganze Buch zuerst von Hand geschrieben. Die formale Gliederung ist während diesem physischen Prozess sozusagen passiert. Beim Lektorat haben wir viel diskutiert: Wann wechsle ich auf die neue Zeile, wann muss ein Wort oder sogar nur eine Silbe alleine stehen, wann bricht ein Satz ab und so weiter. Die Zeilensprünge sind alle sehr, sehr bewusst gesetzt und durchdacht, sodass die Form den Inhalt stark unterstützt und verbildlicht.

Bei ihrem ersten Buch «Sammler» haben Sie das noch nicht so gemacht. Werden Sie das ab jetzt aber immer machen?

Das weiss ich noch nicht. Aber diese Mischform von Lyrik, szenischen Dialogen und prosaischem Fliesstext hat sich für mich diesmal bewährt, weil diese Struktur sehr passend die Inhalte unterstützt, die ich vermitteln wollte. Und ich finde es schön, dass die drei Formen miteinander existieren können.

Sie haben zwar Ihre eigene Welt konstruiert, dennoch kann man ja Dinge wie zum Beispiel die Hackersprache nicht einfach erfinden?

Ich glaube, das sind zwei Ebenen. Die formale Ebene besteht aus einer sehr schnellen, zerrütteten Sprache. Für die inhaltliche Ebene habe ich sehr viel recherchiert: über Begrifflichkeiten des Digitalen, Hacker-Ausdrücke oder was es für Möglichkeiten gibt, ein Computersystem zu infiltrieren. Ich habe diese Stellen auch von Leuten, die sich mit diesen Abläufen auskennen, überprüfen lassen. Gleichzeitig musste ich schauen, dass ich nicht zu stark in dieser Sprache verhaftet bleibe. Sonst leidet das Verständnis.

Welche Rolle spielt die Musik in Ihrem Buch?

«Knochenlieder» ist eigentlich eine Liebeserklärung an die Musik. In allen Teilen finden die Figuren in der Musik ihre Sehnsucht, finden eine Ausflucht oder Erlösung.

Als Leser muss man bei «Knochenlieder» recht viel mitdenken und Lücken füllen. Ist das gewollt?

Das ist sehr bewusst. Ich empfinde solche Leerstellen, bei denen man nur Pfeiler setzt, eine Situation umkränzt oder Hinweise gibt, als sehr magisch. Die Magie eines Textes fängt doch da an, wo der Leser Sachen, die nicht ausgesprochen werden, dennoch ganz stark spürt, weil sie irgendwo dazwischen schweben.

Ist es dabei Ihr Ziel, dass jeder Leser das Gleiche spürt und die Lücken gleich füllt?

Das kann man ja schwer ganz steuern. Es gibt Sachen, bei denen klar ist, wie die Leerstelle gefüllt werden sollte. Dann gibt es natürlich auch Situationen, die absichtlich in der Schwebe gelassen werden und die man so und anders drehen kann. Ich finde diese Spielereien spannend.

Ist es nicht schwierig einzuschätzen, welche Eckpfeiler die Leser brauchen, um eine Leerstelle füllen zu können?

Für mich persönlich ist in den meisten Fällen klar, was sich in den dunklen Leerstellen meines Textes befindet. Natürlich können die Leser nicht in meinen Kopf schauen, aber ich darf in diesem Fall auch nicht alle Geheimnisse preisgeben. Sonst würde alles genauestens erklärt und ist plötzlich völlig uninteressant. Ich glaube, man darf die Leser sehr ernst nehmen und sie nicht unterschätzen. Und das Feedback gibt mir recht. Viele schätzen es, dass «Knochenlieder» ein Text ist, bei dem es ihnen überlassen wird, die Leerstellen zu füllen.

«Knochenlieder» ist erst Ihr zweites Buch und wiederum sehr erfolgreich. Möchten Sie stärker auf dieser Schiene fahren oder sich lieber wieder dem Theater widmen?

Ich habe schon Lust, bald wieder ein Buch zu schreiben, natürlich. Aber ich muss mich auch nicht für das eine oder das andere entscheiden. Das lief ja bisher auch schon parallel und kann gut nebeneinander existieren.

Wie geht es für Sie nach diesem Wochenende weiter?

Ich werde mich zuerst sicher eine Weile erholen, werde all das Schöne, die vielen Begegnungen und interessanten Gespräche verarbeiten. Danach werde ich mich sortieren und in Ruhe weiterarbeiten.


Bote der Urschweiz / Nadine Annen

Autor

Bote der Urschweiz

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Kategorie

  • Literatur

Publiziert am

13.11.2017

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