
Literatur
Ziemlich tiefer Einblick ins Schoeck-Nähkästchen
Das Begleitbuch zum Othmar-Schoeck-Festival in Brunnen deckt viel Unbekanntes auf.
Das schon zum fünften Mal stattfindende Schoeck-Festival hat immer auch dokumentarischen Charakter. Dazu wurden wiederholt thematisch geordnete Publikationen herausgegeben. Sie befassten sich jeweils mit musik- und kulturhistorischen Aspekten des Schoeck-Werks, mit Neuinterpretationen, mit den biografischen Meilensteinen und den Schoeck-Gebrüdern in ihrer Zeit und ihrem Umfeld, immer mit lokalhistorischem Bezug verbunden. Basis für diese Dokumentationen bilden einerseits die Recherchen von Schoeck-Biograf Chris Walton, anderseits das Schoeck-Familienarchiv. Bereits vor Jahrzehnten haben die beiden Germanisten, das Ehepaar Georg und Elisabeth Schoeck-Grüebler, dieses Archiv sanft geöffnet. Dem Familienerbe stark verpflichtet, machten sie das jedoch vorsichtig-selektiv. Ihr Sohn Alvaro Schoeck, international tätiger Musiktheaterregisseur, tut das im Interesse an Fakten konsequenter. Die am Donnerstag an einer Vernissage vorgestellte Publikation erlaubt so tiefere, ehrliche und authentische Einblicke in das Schoeck-Nähkästchen. Die stimmig illustrierte Publikation trägt den Titel «Le plus beau pays du monde?». Die legendäre Aussage von Kunstmaler Alexandre Calame über die Szenerie des Urnersees ist hier allerdings mit einem Fragezeichen versehen. Damit geht diese Publikation all den Fragen nach, welche die vier Schoecks in ihrer Jugend, ihrer Entwicklung, ihrem Werdegang und ihrem Leben in diesem «le plus beau pays» durchlebt haben. War es wirklich so einmalig schön?
Acht Autoren, acht Kapitel
Das Begleitbuch ist in acht Kapitel, verfasst von acht Autoren, gegliedert. Ein Kapitel davon – Meinrad Inglins fragmentarische Schilderung einer «Nacht bei den Brüdern Schoeck» – war schon bisher publik. Alle anderen Beiträge wurden neu verfasst oder sind dokumentarisch. So von Lea Fussenegger, die sich mit den lebensnahen Aufzeichnungen von Schoecks «Kinderfräulein» Lotte Müller aus den Jahren 1895 und 1896 befasst hat. Sehr eindrücklich ist ein sensibler Essay, der von Walter Schoeck nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 verfasst worden ist und philosophisch in der Erkenntnis endet, dass die Welt schön sei, aber der Mensch zu dumm, um sie segensreich zu gestalten. In einem grösseren Kapitel gibt Expertin Heidy Greco-Kaufmann einen Einblick in die Biografie von Theaterwissenschaftler und -regisseur Oskar Eberle. Als Biografin zeigt sie, wie Eberle nachhaltig versucht hat, Paul Schoeck als Autor zu fördern und dessen dramatische Werke, insbesondere den Dialekt-Tell, zur Aufführung zu bringen. Markant ist, wie Eberle selber sich zwischen dem romtreuen Katholizismus und der freien Theaterwelt auf kulturkämpferischer Identitätssuche befunden hat. Die vier weiteren Autoren befassen sich dann konkret mit den vier Brüdern. Regula Michel titelt ihren Beitrag über Paul Schoeck mit «Sehnsucht nach Fryheit», die sich zwischen seiner Brotarbeit als Architekt und seinen Talenten als Dramatiker erahnen lässt. Annemarie Regez schildert einen Walter Schoeck «zwischen bürgerlichen Pflichten und musischer Neigung». «Bote»-Redaktor Jürg Auf der Maur beschreibt Ralph Schoeck als «grossen Bewahrer». Und Katrin Spelinova geht unter dem Titel «Othmar ist da!» dem Verhältnis und den Beziehungen nach, die Othmar Schoeck zu seinem Jugendort Brunnen hatte, und wie sein Werk lokal beurteilt, gefördert und aufgeführt wurde, dies ein Verdienst der Albrecht-Musiker.
Einstige Tabus weggeräumt
In diesen kurzen Biografien tauchen Details auf, die man bisher so nicht gekannt hat: etwa die Situation der im liberal-protestantischen Hause erzogenen Buben in einer katholisch-bigotten Umwelt, und später die immer von Suche geprägten Reisen in Europa oder die dramatisch verlaufenen Liebesbeziehungen. Auch der in Selbstzweifel und Bitterkeit gewählte Freitod von Paul Schoeck wird nicht mehr tabuisiert. Ebenso nicht der tiefgehende und jahrelange Zwist zwischen Ralph und Walter Schoeck, als das eigene Hotel Eden 1951, ganz offensichtlich aus wirtschaftlichen Gründen, verkauft werden musste.
Bote der Urschweiz / Josias Clavadetscher
Autor
Bote der Urschweiz
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Kategorie
- Literatur
Publiziert am
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