Chor und Orchester bei der letzten Probe vor dem Konzert. Foto Paul Jud
Chor und Orchester bei der letzten Probe vor dem Konzert. Foto Paul Jud

Musik

Darauf hat Einsiedeln 150 Jahre gewartet!

So vieles ist anders als im Voraus gedacht: Die «Vesper» ist eigentlich keine «Einsiedler Vesper», zur Einführung in Cossonis Werk in der Fram erschienen unerwartet viele Besucher. Und schlussendlich erlebten viele Anhänger alter Musik am Sonntagabend eine wunderbare Aufführung in der Klosterkirche.

Ich nahm es gemütlich, fand mich zehn Minuten vor Beginn der Einführung ins Werk in der Fram ein. Dachte mir, dass ich da bei den vermeintlich wenigen Besuchern meinen Platz auswählen könne! Aber weit gefehlt, die Stühle waren alle besetzt, ich musste mir einen Klappsessel holen und hinten sitzen. Und da war es wegen der Entfernung zu den Gesprächsteilnehmern Walter Kälin und Roland Wächter nicht immer leicht, das Gesprochene zu verstehen. Man hatte, da man mit einigen wenigen Interessierten rechnete, keine Lautsprecherboxen aufgestellt. Wie man sich im Positiven verrechnen kann! Nach der musikalischen Einstimmung befragte Walter Kälin sein Gegenüber, Roland Wächter, zu Leben und Werk des italienischen Komponisten Carlo Donato Cossoni. Und da kam viel Verwirrliches zum Vorschein. Auf die Frage, ob Cossoni tatsächlich eine «Einsiedler Vesper» komponiert habe, antwortete Roland Wächter mit einem «Jein». Komponiert wurde sie, bevor die Manuskripte nach Einsiedeln kamen. Und rechtmässig gehörten sie eigentlich nach Mailand. Nach einem Zwist mit dem Erzbischof entliess ihn dieser. Cossoni zog sich an den Comersee zurück und nahm seine Manuskripte, die der Kirche gehörten, zu einem schönen Teil mit. Über seinen Bruder, der in Bellinzona Organist war und mit den dort stationierten Einsiedler Mönchen in Verbindung stand, fanden die Bücher im hiesigen Kloster ihre Heimat. Bis vor 150 Jahren wurde die Musik im Gottesdienst aufgeführt, dann geriet sie in Vergessenheit. Erst im 20. Jahrhundert setzte die Wende ein: Alte Musik wurde «ausgegraben» und wieder aufgeführt – und damit auch Cossonis Werk.

Kirchenraum muss «gefüllt» werden!


Die «Einsiedler Vesper» ist doppelchörig komponiert, muss den Kirchenraum «füllen». Das spricht für grosse Kirchen, also für unsere Klosterkirche. Die Vesper ist eigentlich ein Wortgottesdienst ohne liturgische Handlung wie die Messe. Ihr Ablauf sieht so aus: Eröffnung, vier oder fünf Psalmen, Hymnus und Magnificat. Die Eröffnung begann schnell: «Domine, ad adjuvandum me festina!» In der Barockzeit wurden eben wichtige Worte des Textes auch in der Musik ausgedrückt (festina = eile). Der Anfang der Psalmen wurde ohne Untermalung von Männern gesungen. Das tönte wie in einem Klostergewölbe, verursachte ein Kribbeln. Dann setzten die Solistinnen und/oder der Chor ein. Die stupende Genauigkeit in Tempo und Rhythmus beeindruckten bis zum Schluss. Die Texte, wie zum Beispiel Psalm 112, geben noch heute gültige Wahrheiten her: «Lucundus homoqui miseretur et ...», auf Deutsch: «Gut ist, wer freigebig und zu leihen bereit ist und seine Geschäfte gerecht besorgt.» Die Lobgesänge kamen ins Ohr, gingen ins Herz und vermittelten in ihrer dargebrachten Leichtigkeit ein Wohlgefühl. Ganz logisch, dass die damaligen Gläubigen in den prachtvollen Kirchen mit dieser Musik sich mindestens halb im Himmel wähnten. Wenn man sich das Szenario in unserer Klosterkirche vor 150 Jahren vorstellt – mit Weihrauchschwaden die nach oben strömten und die-ser Musik – da schwebten alle Putenengel durch den Kirchenraum. Oder der Gläubige sah es zumindest so. Das positive Fazit dieses Abends: Auch wenn es keine eigentliche «Einsiedler Vesper» ist, hat das Hören und Genies-sen derselben grossen Spass bereitet. Herzlichen Dank an das Vokalensemble Novantiqua und das Kesselberg Ensemble für die wunderbare Wiedergabe. Einsiedeln hat schon wieder – zum dritten Mal in diesem Jahr – wunderbare Musik geschenkt bekommen.

Einsiedler Anzeiger / Paul Jud

Autor

Einsiedler Anzeiger

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Kategorie

  • Musik

Publiziert am

25.10.2022

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