Pirmin Meier war in Einsiedeln zu Gast.
Pirmin Meier war in Einsiedeln zu Gast.
Pirmin Meier (links) performte seine Auslegung des Romans «Der Rote Diamant» von Thomas Hürlimann so fundiert wie gestenreich. Bilder Gina Graber
Pirmin Meier (links) performte seine Auslegung des Romans «Der Rote Diamant» von Thomas Hürlimann so fundiert wie gestenreich. Bilder Gina Graber

Literatur

Ein bedeutender Muttergottesroman «Der Rote Diamant»

Am Donnerstag, 2. Februar, war Pirmin Meier zu Gast im Haus Fram. Der bekannte Bildungshistoriker ergründete im Gespräch mit Walter Kälin den neuen Roman «Der Rote Diamant» von Thomas Hürlimann.

Das komplexe, zuweilen bizarre Werk rund um die Erlebnisse eines Einsiedler Klosterzöglings polarisiert die Leserschaft. Die Diamantensuche mit Pirmin Meier gestaltete sich wie eine Achterbahnfahrt durch die Geschichte. Walter Kälin wähnte in seiner Vorschau im Einsiedler Anzeiger, Pirmin Meier wisse nicht alles – aber fast. Darauf vertrauten bestimmt auch die gut fünfzig Anwesenden, die sich am vorletzten Donnerstag in der Fram eingefunden hatten. Und sie wurden von dem sprachlichen Feuerwerk, das man von Pirmin Meier erwarten durfte, nicht enttäuscht.

Einblick in den Roman


Anlass für das fast zwei Stunden dauernde Gespräch war der Roman «Der Rote Diamant» von Thomas Hürlimann. Darin beschreibt der Zuger Autor die fantastischen Erlebnisse von Arthur Goldau, der 1963 als elfjähriger Zögling Nummer 230 seine Internatszeit im Kloster Einsiedeln antritt. Das Kloster, in der Geschichte «Maria zum Schnee» genannt, birgt das Geheimnis um einen wertvollen, roten Diamanten aus der Krone der Habsburger. Arthur und seine engsten Kommilitonen begeben sich alsbald auf die Suche nach dem sagenumwobenen Edelstein und geraten dabei in die verlassensten Winkel, auf den windigen Glockenturm und in die von Ratten bevölkerten Katakomben der «Steinstadt», wie die Einsiedler Benediktinerabtei im Buch bezeichnet wird. Der autobiografisch gefärbte, dennoch fiktiv-fantastische Roman endet mit dem Rückblick des gealterten Arthur Goldau anlässlich einer Klassenzusammenkunft im Einsiedeln der Gegenwart. Das Kloster ist nichts mehr als ein verlassenes Gemäuer, und mit der Steinstadt ist auch der Katholizismus am Bröckeln. Die Zöglinge haben den Roten Diamanten nie gefunden – aber das Ende der Geschichte sei hier nicht verraten.

Der Autor mit der feinsten sprachlichen Klinge


Beim Lesen lacht und leidet man gleichermassen, so fantastisch sind die Geschehnisse, so überzeichnet sind Thomas Hürlimanns Figuren und ihre teils grausamen Schicksale. Tote gibts, sowie an Körper und Seele Geschundene und Geprüfte. Jedoch: Was die einen zum Lachen finden, finden andere einfach nur lächerlich oder abstossend. Und die Frage steht im Raum: Darf man eine altehrwürdige Klostergemeinschaft so grotesk verhunzen? «Es war nie und nimmer so!», argumentieren jene, die selbst Zöglinge waren, und bekunden deshalb ihre liebe Mühe mit der Lektüre. Auch Pirmin Meier war Klosterschüler, allerdings in Sarnen; als ehemaliger Gymnasiallehrer ist er zudem ein profunder Kenner der Literatur-, Philosophie- und Kirchengeschichte. Von seiner Meinung und seinen Erörterungen erhofften sich viele im Publikum einen tieferen Zugang zur Geschichte um den «Roten Diamanten». Er bekundete schon zu Beginn des Abends seine Bewunderung für Thomas Hürlimann: «Er ist der Autor mit der feinsten sprachlichen Klinge, ein Fabulierer, dem manchmal die Fantasie durchgeht.» Mit seinem letzten Werk sei dem Zuger ein meisterhafter Roman geglückt, wie es ihn schon vor tausend Jahren gegeben habe, und dies gleich in mehrfacher Hinsicht.

Artusroman, Bildungsroman, Zeitroman


Wie zu erwarten, legte Pirmin Meier seine Meinung über das Buch wortreich und gedanklich weit zurück in vergangene Jahrhunderte ausholend dar. Erstens handelt es sich um einen sogenannten Artusroman. Die Bezeichnung lehnt sich an die Geschichte des sagenhaften Königs Artus an, der sich aufmachte, den heiligen Gral, das Symbol der Erfüllung aller Wünsche, zu suchen. Zweitens ist «Der Rote Diamant» auch ein Bildungsroman. Arthur durchlebt über einen längeren Zeitraum verschiedene Stationen seines Lebens und reift daran. Und drittens ist es ein Zeitroman, der zeigt, wie die Menschen von den unmittelbaren Geschehnissen und den Normen ihrer Zeit geprägt werden, sich ihnen anpassen, sie sprengen oder an ihnen zugrunde gehen.

Die Muttergottes darf nicht preisgegeben werden


Innerhalb der Steinstadt kommt nur eine Frau vor, die Schwarze Madonna, in deren Krone einst der Rote Diamant sass. Pirmin Meier ist überzeugt, dass «Der Rote Diamant» der bedeutendste Muttergottesroman seit bald zweihundert Jahren ist. Denn mit der Rolle, die Thomas Hürlimann der Muttergottes zugesteht, zeige er, dass gerade sie niemals aufgegeben werden dürfe: «Die Muttergottes wirkt bei den Gläubigen nicht durch das Nachbeten von Dogmen, sondern durch die Berührung des Herzens durch das Heilige.» Und er ist überzeugt: «Ein heutiger Muttergottesroman muss genauso geschrieben werden, wie Thomas Hürlimann dies mit dem ‹Roten Diamanten› getan hat, sonst würde seine Botschaft nicht verstanden. » Pirmin Meier charakterisierte den «Roten Diamanten» kurz und knapp auch als reine Fantasiegeschichte mit kriminalistischem Beiwerk. Manchmal klingen Szenen, Handlungen im Buch an die Filme von Federico Fellini an: satirisch und verschroben, von allerlei schrägen Vögeln bevölkert, aus der Zeit gefallen.

Soll man das Buch lesen?


Pirmin Meier weiss tatsächlich fast alles und fasste bei seinen gestenreichen Auslegungen den Bogen entsprechend weit. Aus seiner Sicht ist «Der Rote Diamant» unbedingt lesenswert. Manche seiner enthusiastischen Erläuterungen erhellten die Sicht auf die komplexe Romanhandlung, andere führten beim wissbegierigen Publikum wiederum zu neuen Fragen. «Der Rote Diamant» reisst die einen mit seiner packenden Erzählweise vom ersten Satz an wie ein Strudel mit auf einen fantastischen Lesetrip, andere wünschten sich mehr Wahrhaftigkeit und bleiben bei der Lektüre deshalb ratlos.

Einsiedler Anzeiger / Gina Graber

Autor

Einsiedler Anzeiger

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Kategorie

  • Literatur

Publiziert am

10.02.2023

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