Schlechte Gene lassen sich regeln wie schlechte Zähne: Die Ärzte des 21. Jahrhunderts ersetzen dem Menschen ein Gen so, wie man am Auto eine Zündkerze wechselt. (Bild: Silvia Camenzind)
Schlechte Gene lassen sich regeln wie schlechte Zähne: Die Ärzte des 21. Jahrhunderts ersetzen dem Menschen ein Gen so, wie man am Auto eine Zündkerze wechselt. (Bild: Silvia Camenzind)
Farbenspiel und Sinnbild: Im Welttheater bröckelt die Fassade des Klosters auseinander. (Bild: Silvia Camenzind)
Farbenspiel und Sinnbild: Im Welttheater bröckelt die Fassade des Klosters auseinander. (Bild: Silvia Camenzind)
Der Mensch als Versuchskaninchen: Hier zappelt es hilflos in der Luft. (Bild: Silvia Camenzind)
Der Mensch als Versuchskaninchen: Hier zappelt es hilflos in der Luft. (Bild: Silvia Camenzind)

Bühne

Das Heer der Götter trägt heute Weiss

Ein Heer von Ärzten, dazu Menschen, die das Heil in der Medizin suchen und das Glück in der Perfektion doch nicht finden. Das Welttheater wirft erneut die grossen Fragen des Lebens auf.

Der Regen begleitete am Freitag die Premiere des Welttheaters. Auf der ungedeckten Tribüne sassen die Menschen im Regenschutz und in Pelerine – möglichst unbeweglich, um nicht nass zu werden, denn während der etwas mehr als eineinhalbstündigen Spieldauer hörte es nie komplett auf zu nieseln oder zu regnen. Erst nach einem fulminanten Schluss kam Bewegung in die Menschenmenge. Viel Applaus und Bravorufe gab es für die Gemeinschaftsleistung der Einsiedler bei ihrer ersten Zusammenarbeit mit Autor Tim Krohn und Regisseur Beat Fäh.

Menschen wie Marionetten

Die Ästhetik des prächtigen Klosterplatzes leidet unter der Baustellenkulisse, den zwei Kranen, den Baubaracken, WC-Häuschen und orangen Betonmischern. Doch die Baustelle ist bewusst Teil des Spiels. Am Kran werden Menschen wie Spielfiguren an einem Mobile durch die Luft gehievt. Die Betonmischer erzeugen Lärm und dienen als Trommeln. In den Baracken ist die Musik vor Regen geschützt, und ins WC-Häuschen verzieht sich das schöne Paar, Leni und Luki, um Kinder zu zeugen. Sie wollen «die schönschtä, beschtä, gsündischtä».

Absurdität der ewigen Jugend

Der Körper des Menschen ist ebenso Baustelle wie das Leben, an dem die Darsteller dieses Stückes, das in naher Zukunft spielt, fast verzweifeln. Gott trägt Weiss und stellt die Diagnosen. Der Chor tritt als Heer von Ärzten auf. Bei ihnen suchen die Menschen das Heil, nicht mehr in der Kirche. «Wir werden sein, wie Gott uns wollte», ruft die Chefärztin. Das Eingreifen ins Erbgut soll eine bessere Welt schaffen. Der Mensch will ewig schön und jung sein. Kinder, in Kleidern mit viel zu langen Ärmeln und Hosenbeinen, in die sie nie hineinwachsen werden, weil sie die ewige Jugend darstellen, zeugen von der Absurdität dieses Wunsches. Keiner ist unsterblich. Der Bauer hat Ekzeme und kein Geld für eine Behandlung. Dem Reichen droht Alzheimer, und der Präsident stolpert, fällt zu Boden und stirbt noch an der Unfallstelle, fluchend wie ein Rohrspatz. «Eigenartig nüütälig isch das», stellt die schöne Leni beim Betrachten des Sterbenden fest.

Schöne Musik und Kostüme

Man erhält eine Überdosis von Medizin, Ärzten und Genforschung im diesjährigen Spiel, was Zeit gibt, die grossartigen Kostüme von Carolin Mittler näher zu betrachten oder sich intensiver der Musik von Carl Ludwig Hübsch zu widmen. Das ist alles sehr schön, vom Streichorchester bis zur Blasmusik, von den singenden Sägen und krächzender Violine bis zum Chor mit seinen Harmonien und Disharmonien. Beeindruckend sind die Special Effects an der Klosterfassade. Sie brennt, dann reisst es sie auseinander, das Kloster bläht auf und droht zu platzen und aufs Publikum zu fallen.

Szenen mit Krohns Mystik

Insgesamt ist das Spiel weniger düster als jenes von Hürlimann/Hesse im Sommer 2007. Es erreicht aber nicht dessen Wucht. Es ist zarter, und manchmal scheinen die Figuren fast verloren auf dem grossen Klosterplatz. Die für Tim Krohn typische Mystik findet man im Kind aus dem See, dem gelben Farbtupfer im Spiel, das im Gespräch mit Pater Clemens die einfachen Fragen stellt. Das Kind – im Spiel immer in vierfacher Ausführung – stellt infrage, was offensichtlich erscheint, und zielt so auf Grundlegendes. Ebenso faszinierend und eindrücklich ist das Kreuz der Ahnen. Die schwangere Leni spürt ihr Kind im Bauch und lässt nun ihr Herz sprechen. Sie will das Kind behalten, auch wenn es möglicherweise krank zur Welt kommen wird. Im Reich der Toten bilden die Vorfahren von Leni und Luki ein grosses Kreuz, das sich immer schneller dreht. Es sind Ururgrosseltern mit Stierägrind und O-Bein, Menschen mit Ecken und Kanten, die gute Zeiten hatten, obwohl oder gerade weil sie nicht perfekt waren. Es ist eine Szene mit Poesie, ein wunderbarer Kontrast zur Maschinerie der Ärzte. Wie hatte doch schon Pater Clemens zuvor gesagt: «Nid jedä Higg i dir Birä isch ä Chranked.»

Stimmen der Sonntagspresse

- Zentralschweiz am Sonntag «Das Einsiedler Welttheater 2013 von Tim Krohn und Beat Fäh, von Carolin Mittle

Autor

Bote der Urschweiz

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Kategorie

  • Bühne

Publiziert am

24.06.2013

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