«Äs fägt»: Rita Kälin (links) und Agnes Ryser. Foto: Victor Kälin
«Äs fägt»: Rita Kälin (links) und Agnes Ryser. Foto: Victor Kälin

Bühne

Musik

«Jemand, der den Rest macht …»

Rita Kälin inszeniert in Interlaken die Oper «Guillaume Tell» von Gioacchino Rossini – in der Tellspielarena!

Der Weg ist weit, die Proben kurz, der Aufwand immens: Mit 300 Mitwirkenden für Spiel, Gesang und Musik verspricht die Oper Tell ein berührendes Spektakel zu werden. Und mittendrin: Rita Kälin als Regisseurin.


Victor Kälin: Wie ist die Oper Tell zu Ihnen nach Einsiedeln, respektive Sie nach Interlaken gekommen?


Rita Kälin: Eines schönen Tages im Januar 2018 fragte mich Agnes Ryser per Telefon, ob ich die Regie für die Oper Tell übernehmen wolle. Ein richtig grosses Freilichttheater mit Chor, Orchester, Solisten und Spielvolk. Sie dirigiere und suche noch jemanden, der «den Rest macht» …


Und da sagten Sie einfach so zu?


Nein. Zuerst einmal sagte ich lange nicht zu. Es dauerte einige Zeit, bis ich die notwendigen Hintergrundinformationen hatte: Gibt es eine Produktionsleitung (nein), wie viele Proben sind mit dem Spielvolk möglich (vier), wann können Gesamtproben stattfinden (drei Tage vor der Premiere) …? Alle Antworten auf meine Fragen lieferten gute Gründe, um abzusagen … Auslösendes Moment war dann aber die Generalversammlung der Tell-Freilichtspiele in Interlaken im Februar. Nach meiner fünfminütigen Brandrede war das innere Feuer gelegt! Die Rückmeldungen der Tellspielleute ermutigten mich, zuzusagen. In meiner Rede thematisierte ich die Wichtigkeit des Laientheaters für die Gemeinschaft und wie gerne ich bereit wäre, mit Laien zusammenzuarbeiten. Danach sagten sie mir, auch sie seien nun bereit.


Wie wichtig war und ist für Sie Agnes Ryser?


Hätten wir nicht schon dreimal beim Welttheater zusammengearbeitet, wäre ich das Wagnis nicht eingegangen. Aber ich wusste, dass man sich auf Agnes Ryser verlassen kann. Und so ist es.


Was fasziniert Sie an der Oper «Guillaume Tell»? Muss man Opernliebhaber sein, um die Musik zu mögen?


Man darf sogar Opern-fremd sein, und wird Rossinis Tell dennoch lieben. «Guillaume Tell» bietet viele Facetten: Dramatik, Romantik, Poetik, Volkstümliches, Mitreissendes … Jede und jeder wird musikalisch abgeholt.


Wie kann man sich Ihren Part «als Regisseurin in der Fremde» vorstellen?


Meine Hauptaufgabe besteht darin, das derzeit gespielte Tell-Theater von Regisseur Ueli Bichsel zu transformieren, dass es zu den Vorgaben der Rossini-Oper passt. Die von Agnes Ryser zusammengestellte Version dauert 90 Minuten. Und die Reihenfolge der Szenen ist bei Rossini anders als bei Schiller. Das Verweben dieser Faktoren bescherte mir schon manch schlaflose Nacht.


Wer macht alles mit?


Eine ganze Menge: 120 Mitwirkende der Tellspiele Interlaken, das Oper Tell Sinfonieorchester mit 52 Personen, 120 Erwachsene und 30 Kinder im Oper Tell Chor, sechs Opernprofis als Solisten und des Weitern noch Pferde, Esel, Ziegen und Hunde … und eine Herde Steckenpferde!


Was ist speziell an der Produktion Oper Tell?


Ich muss grosse und ziemlich verschiedene Puzzle-Teile in kürzester Zeit zusammenfügen: Die Tell- Leute, Chor und Orchester und die Solisten. Zur Regie hinzu kommt noch die Produktionsleitung: Darsteller sind zwar vorhanden, aber die ganze Logistik, die gesamte Kommunikation und Werbung und die sehr aufwendige Ton-Technik mussten zuerst gefunden werden.


Was bezeichnen Sie als Ihre grösste Herausforderung?


Man muss sich das einmal vorstellen: Die Tell-Leute spielen von Ende Juni bis zum 1. September wie jedes Jahr ihr Theater Tell. Die Premiere der Oper Tell findet bereits am 8. September statt; eine Woche später! Die Probenzeit ist extrem knapp. Ich muss somit alles Vorhandene des Tellspiels in die neue Inszenierung der Oper einbauen und die Proben so minutiös planen, dass alle Beteiligten selbstständig weiterdenken und das Ganze mittragen können. Einmal erst konnte ich bisher mit den Schauspielern proben – drei Stunden. Doch sie gelangen überraschend effizient.


Wie verläuft die Arbeit, die Zusammenarbeit in Interlaken, speziell auf dem Festgelände des Tellspiels?


Überwältigend positiv! Auf jede Anfrage meinerseits kommt eine hilfreiche Antwort. Es ist faszinierend: Alle wollen, dass es gelingt.


Was motiviert Sie, was hält Sie bei Laune?


Dass die im Februar noch riesigen Berge flacher werden und alle sehen, wohin wir wollen. Noch selten habe ich einen so grossen Elan, einen so starken Willen gesehen wie hier in Interlaken. Die wichtigsten Player vertrauen einander blind. Das bestärkt mich – nur so kann es gelingen.


Worauf dürfen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer freuen?


Auf ein äusserst motiviertes Ensemble, musikalische Professionalität, ein visuelles und klangliches sehr attraktives Zusammenspiel. Die Inszenierung wird berühren. Sie ist kein Schuss in den Apfel, sondern mitten ins Herz! Wie Tell verlassen alle Beteiligten ihre Komfortzone. Auch sie beweisen sehr viel Mut, sich unter diesen speziellen Rahmenbedingungen auf ein derart komplexes Projekt einzulassen. Darum wirkt es so authentisch – und deshalb trifft es auch mitten ins Herz. Für mich lebt die Hoffnung, dass der Zuschauer seine Betroffenheit nach dem Schlussbild nicht einfach abschütteln wird. Sondern er sich fragt: Wo im Alltag bin ich Tell? Wo zeige ich Zivilcourage?


Zur Person: Rita Kälin


Theaterpädagogin, Kommunikationstrainerin, Erwachsenenbildnerin, Kindergärtnerin. Seit 1988 Schauspielerin der Theatergruppe Chärnehus Einsiedeln. Seit 1992 unterwegs mit dem Puppentheater «tiramisü». Lehrerin für Kommunikation und Theater seit 1999. Als Regieassistentin – meist von Regisseur Volker Hesse – tätig beim Welttheater Einsiedeln 2000/2007/2013, 2012 Tellspiele Altdorf, 2016 Eröffnungsfeierlichkeiten des Gotthardbasistunnels, 2017 «Akte Zwingli – ein Mysterienspiel» im Grossmünster Zürich. Freischaffende Regisseurin und Projektleiterin.


Einsiedler Anzeiger / Interview: Victor Kälin

Autor

Einsiedler Anzeiger

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Kategorie

  • Bühne
  • Musik

Publiziert am

24.08.2018

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