Dies & Das
«Calderóns Stück ist aktueller denn je»
In anderthalb Jahren ist Welttheater-Premiere. Der künstlerische Stab möchte die Spielfreude «quer durch den Garten» wecken. Am letzten Dienstag weilte Autor Lukas Bärfuss in einer vierten Klasse der Stiftsschule Einsiedeln, die sich von der engagierten Seite zeigte.
Schon bei der Begrüssung am Bahnhof Einsiedeln wird mir klar: Autor Lukas Bärfuss ist sich bewusst, dass das Klosterdorf ab Mitte 2019 für ihn zu einer Art «zweite Heimat» wird. Auf dem Weg in die Stiftsschule betont er, wie wichtig für ihn und den auf 180 Jahre Erfahrung zählenden künstlerischen Stab der Miteinbezug der Jugend sei. Er denkt dabei bereits schon an das Welttheater im 21. Jahrhundert. Und er erzählt vom Workshop mit dem Choreografen Graham Smith, wo eine zweite Klasse des Gymnasiums involviert sein wird. Man sieht: Der Jugend kommt am 16. Einsiedler Welttheater eine grosse Bedeutung zu.
Mit Lektüre vorbereitet
Um 17 Uhr sitzen die Schülerinnen und Schüler mit den drei Lehrpersonen Maria Egartner, Caroline Stutz und Francesco De Vecchi in einem Schulraum des Musiktraktes im Kreis bereit. Die jungen Damen und Herren der vierten Klasse haben sich mit der Lektüre von Calderóns «El gran teatro del mundo» auf den Besuch von Lukas Bärfuss vorbereitet; eine der Schülerinnen übernimmt die offizielle Begrüssung. Der 47-jährige Schriftsteller aus Thun – heute in Zürich wohnhaft – stellt auf Hochdeutsch um und bedankt sich herzlich für die Einladung. Schmunzelnd meint er: «Ich bin der Grund, warum ihr Calderón lesen musstet!» In der nachfolgenden Stunde hat man jedoch kaum das Gefühl, die Lektüre des 1655 erschienenen Werkes sei für die jungen Menschen ein Muss gewesen. Bärfuss seinerseits findet den Fanatismus in Einsiedeln für ein altes Stück eine einzigartige Sache, wie es sie sonst wohl nur noch an den Passionsspielen im deutschen Oberammergau gebe.
Zum Denken anregen
Lukas Bärfuss mag den Monolog nicht, viel mehr will er die Jugendlichen etwas «aus dem Busch klopfen», zum Denken anregen. Nur so kann der Funken springen. Warum wollen wir denn Calderón 2020 aufführen? Keine Liebesgeschichte, kein Thriller! Im Kreis wird mitgedacht. Es geht um Rollen, die uns Menschen zugeteilt werden, Rollen quer durch die Gesellschaft, auch solche, die nicht ins Schema passen wie etwa die Gnade oder das ungeborene Kind. Wohl bezeichnet Bärfuss die Geschichte unter dem Aspekt der Handlung als «fad», das Stück weist keine Hollywood-Dramaturgie auf. Trotzdem gibt es Gründe, es 2020 in Einsiedeln zu spielen. Die Antwort auf das Warum liegt im Interview mit Kumi Naidoo, dem neuen Amnesty-International-Chef, der sich für die Menschenrechte und gegen die Todesstrafe einsetzt. Er schockiert mit der unglaublichen Aussage, man solle bereit sein, das Leben für die Menschenrechte aufs Spiel zu setzen. Bärfuss spielt den Ball den Studenten zu mit der Frage, wofür sie sich opfern würden. Was ist euch wichtig, dass ihr alles hingeben würdet? Ratlosigkeit hier, Versuch einer Antwort dort. Ist es Liebe, Glück, Geld?
Worum geht es?
Wer «El gran teatro del mundo» gelesen hat, weiss, dass es zwei Türen gibt: Wir treten auf, irgend einmal kommt der Abgang. Was macht man mit dieser beschränkten Zeit? Von den jungen Menschen kommen Vorschläge wie Sport, Familie und Gemeinschaft. Aber niemand in der Klasse wäre wohl bereit, sein Leben für die Menschenrechte zu opfern. Kumi Naidoo gibt in seinem Interview auch zu verstehen, dass es Mechanismen auf der Welt gebe, gegen die wir uns stellen müssten. «Wir gegen sie». Der Mann gibt das Interview, weil er aufmerksam machen will, letztlich geht es um Propaganda. Um Calderón 1:1 verstehen zu können, werden ein paar Textstellen gelesen. Da geht es um die unfassbare Ungleichheit. Das könnte gut im Jahre 2020 sein, oder? Könnte es sein, dass die Ärmsten in der Welt das machen können, was wir tun? Wozu wäre ich bereit, was würde ich von meiner Weihnachtsreise opfern? Calderón sagt in seinem Text, dass man das, was man ist, gut spielen soll. Heute sind wir unsres Glücks Schmied. Bärfuss regt weiter zum Denken an: Was mache ich mit meinen Gaben? Keine Antwort dazu gibt uns Calderón. Viel mehr geht es um Gehorsam: Man muss folgen und die Regeln einhalten.
Nicht langweilig
Im krassen Gegensatz dazu steht der Interviewpartner von Amnesty International: Er plädiert für den zivilen Ungehorsam. Wenn in der heutigen Welt jeder ungehorsam ist, kommt es zum Kollaps. Wir leben im dauernden Spannungsfeld: Auf der einen Seite das Glück für uns definieren, andererseits das Glück für die kommende Gesellschaft festlegen. Lukas Bärfuss meint nach einer Stunde: «Ich finde das Stück von Calderón überhaupt nicht langweilig. » Er freut sich, das Welttheater in Einsiedeln anreissen zu dürfen. Und er empfiehlt den Schülerinnen und Schülern: «Meldet euch doch für dieses Grossereignis mit der Premiere am 17. Juni 2020 an, wenn ihr nichts Besseres vorhabt.» * Zu erwähnen ist, dass für die 20 Schülerinnen und Schüler eigentlich ab 16 Uhr unterrichtsfrei gewesen wäre, sie für die Begegnung mit Autor Lukas Bärfuss jedoch freiwillig bis 18 Uhr geblieben sind. Chapeau! Und es bleibt bestimmt die Erinnerung an eine spezielle «Schulstunde » mit einem ganz besonderen Autoren: Dieser hat schon 30 Stücke zur Uraufführung gebracht und zehn Bücher – Romane und Essays – herausgegeben. Lukas Bärfuss, der bald noch viel stärker mit Einsiedeln verwurzelt sein wird ...
Einsiedler Anzeiger / Werner Bösch
Autor
Einsiedler Anzeiger
Kontakt
Kategorie
- Dies & Das
Publiziert am
Webcode
www.schwyzkultur.ch/EBreSW