Sprecher Joschi Kühne, Moderator Walter Kälin und Autor Heinz Nauer (von links) gewährten Einblicke in mehr als ein Jahrhundert Firmen- und Familiengeschichte. Foto: Victor Kälin
Sprecher Joschi Kühne, Moderator Walter Kälin und Autor Heinz Nauer (von links) gewährten Einblicke in mehr als ein Jahrhundert Firmen- und Familiengeschichte. Foto: Victor Kälin

Dies & Das

Panoptikum im Briefformat

Was die Korrespondenz der Familien Benziger und Bettschart über den Benziger-Verlag besagt.

Manch eine der gegen 40 Personen wähnte sich vorgestern Sonntag als «akustischer Voyeur». Denn was Joschi Kühne, sonst bekannt als Moderator und Sprecher bei Radio und Fernsehen SRF, mit sonorer Stimme vortrug, war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Es waren Briefe der Familien Benziger und Bettschart an Ihresgleichen, verfasst zwischen den Jahren 1840 bis 1952. Dank sorgfältiger Edition und kluger historischer Einbettung umschiffte die letzte Veranstaltung des Fram-Clubs aber souverän jede Klippe der Peinlichkeit. Das Gegenteil war der Fall: Aus der Vielfalt der Briefe liess sich das Auf und Ab der Firmengeschichte herauslesen; die Verfasser verloren sozusagen ihre Individualität; sie wurden allesamt Teil eines Panoptikums, Teil der Geschichte «Benziger – Der Weltverlag im Klosterdorf».


Dann wird mehr korrespondiert


Die Briefe gewährten einen Blick hinter die Kulissen der Familien Benziger und Bettschart. Und keiner, der diese nicht besser einordnen kann, als Heinz Nauer, Co-Kurator der Ausstellung und Autor des monumentalen Buches über den grössten und bedeutsamsten Betrieb, den Einsiedeln je gekannt hat: «Fromme Industrie. Der Benziger Verlag Einsiedeln 1750–1970». In der Befragung von Fram-Club- Präsident Walter Kälin stellte Nauer aber klar, dass die ausgewählten Briefe kein exaktes Licht auf die damaligen Verhältnisse werfen würden. Je schlechter der Geschäftsgang, so Nauer, desto häufiger die Korrespondenz; das war früher so und ist es noch heute. So sind Zeugnisse «aus den goldenen Tagen» eher rar; entsprechend «tendenziös» war die Auswahl.


Aufschwung und Niederschlag


Gerade mit der Fokussierung auf die eher schwierigen Zeiten wurde den Zuhörern gewahr, dass das Einsiedler Unternehmen nicht linear zur bekannten Grösse wuchs, sondern immer wieder Rückschläge aufzufangen hatte. Mit Josef Karl Benziger beklagte sich bereits 1840 einer der Gründer über die «verderbliche, vom Kloster Einsiedeln unterstützte Konkurrenz ». Später, als derselbe Benziger in den Sonderbundskrieg eingezogen wurde, verabschiedete er sich von seinen Töchtern mit einem innigen Brief, einer Art Lebensanweisung, endend in der Aufforderung, niemals eine Mischehe einzugehen. «Eine Heirat mit Nicht-Katholiken war bei den Benzigers ein absolutes No-Go», bestätigte denn auch Nauer. In einem weiteren Brief wurde 1864 die Personalrekrutierung vor allem junger Burschen aufgegriffen, welche nicht im heimatlichen Einsiedeln, sondern in der neuen Benziger- Filiale in den USA ihren Arbeitsdienst leisten sollten. «Kennt man die Leute, sind Kontrolle und Einbindung höher»; deshalb, so Nauer, setzte Benziger auf eine Rekrutierung in der alten Heimat.


Der Streik von 1900


Nauer kommentierte aber auch Briefe, die nicht von einem Benziger oder Bettschart verschickt, sondern an sie adressiert wurden, nämlich Schmähbriefe, die der Verlag im Winter 1900 erhielt, als bei Benziger gestreikt wurde. Obwohl der Streik landesweit grosses mediales Echo fand, seien gemäss Nauer die Zugeständnisse an die Arbeitnehmer eher bescheiden gewesen. 1924 beklagte ein Mitglied der ab 1899 nach und nach bei Benziger eingestiegenen Dynastie der Bettscharts, dass das Unternehmen «kurz vor dem Konkurs» stehe – nicht zuletzt aufgrund einer verfehlten Personalpolitik, sprich «unqualifizierter Familienangehöriger».


Geschlossen – und doch nicht


Wer die Ausstellung bereits gesehen hat, erkannte in den Briefen eine Art Zusammenfassung, die in ihrer frappanten Gesamtwirkung überraschte. Wer die Ausstellung bisher nicht besucht hat, ist trotz der sonntäglichen Finissage noch nicht zu spät: Die Ausstellung «Benziger – Der Weltverlag im Klosterdorf » ist seit vorgestern Sonntag zwar offiziell geschlossen; sie kann aber bis am 28. Februar für Führungen in Gruppen und nach vorheriger Anmeldung auch für Einzelpersonen weiterhin besucht werden. Im Museum Fram kann auch das Benziger- Buch von Heinz Nauer erworben werden.


Einsiedler Anzeiger / Vi

Autor

Einsiedler Anzeiger

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  • Dies & Das

Publiziert am

19.12.2017

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