Walter Kälin und das Publikum – die Überraschungsgäste der Podiumsdiskussion – sprechen im Fram Club über «Gnade». Bild Christian Marty
Walter Kälin und das Publikum – die Überraschungsgäste der Podiumsdiskussion – sprechen im Fram Club über «Gnade». Bild Christian Marty

Dies & Das

Um Himmels Willen! Was ist Gnade?

Der Fram-Club kündete geheimnisvoll an, einen Abend mit «begnadeten Gästen» zu begehen. Am letzten Donnerstag war es so weit: Im schmucken Domizil des Vereins fanden rund 50 Leute zusammen, um ein vieldeutiges Wort besser kennenzulernen.

Die Überraschung war gross, als Walter Kälin, Präsident der Vereinigung, am letzten Donnerstagabend die besagten Gäste vorstellte: «Niemand anderes als Sie, liebe Anwesende, sind heute die begnadeten Gäste.» Die Idee zeugt entweder von beträchtlichem Einfallsreichtum oder von mangelnder Originalität. Ob so etwas gut kommt? Es war das Ziel der Organisatoren, das Publikum für einmal nicht mit Hilfe eines ausgewählten Gesprächspartners zu unterhalten, sondern das Publikum selbst zum Gesprächspartner zu machen. Fürwahr kann man diesbezüglich je nach dem, wie sehr man in Stimmung für eine Debatte war, entweder von einem gnadenvollen oder von einem gnadenlosen Akt des Präsidenten sprechen.

Gnade? Begriff und Bedeutung

In der Tat ist die Sache ganz gut verlaufen. Nach einigen Startschwierigkeiten – «Was fällt euch zum Begriff der Gnade ein?» – «Mathias Gnädinger, der Schauspieler» –, kam die Diskussion dank einigen sowohl beherzten als auch klugen Kommentaren in Schwung. Insbesondere Friedrich Schmid, ein äus- serst kundiger Deutschlehrer, und Zeno Schneider, ein Arzt mit vielseitigen Interessen, leisteten wertvolle Beiträge: Ersterer verwies mehrere Male auf Sprachliches, Letzterer machte diverse Bemerkungen über Historisches. Und was ist das also, die «Gnade»? Ungeachtet des sprachphilosophischen Grundproblems: Wie kommt es, dass man ein bestimmtes Ding mit einem bestimmten Begriff und etwa den Mensch als Mensch und nicht gar als Hund bezeichnet?, war man sich einig, dass die Gnade einem Geschenk gleichkomme, einem Geschenk, das von einer übergeordneten Instanz – soll man diese Gott oder Natur oder Metaphysik nennen? – gespendet werde. «Gnade – das ist etwas, was ich bekomme, unverdient, einfach so, ein Talent oder ein Glück oder so.» Und welche Bedeutung hat dieses Geschenk heute, in modernen Zeiten? Unter den Besuchern herrschte Einigkeit, dass sich die Gnade auf dem Rückzug befände. In einer derart organisierten Lebenswelt wie der modernen werde alles zunehmend maschineller, meinte ein Gast, und Maschinen würden keine Gnade kennen. Ein rechtsstaatliches Gesetzsystem, das funktioniert, müsse mit dem Wort üblicherweise nicht operieren: Gesetze, heisst das, sind für gewöhnlich gnadenlos – entweder es geht ins Gefängnis oder ans Bankkonto oder eben nicht.

Und das Charisma von Casanova?

Kälin, der Diskussionsleiter, sorgte für einen anregenden Abend, ohne Zweifel, und trotzdem hat man sich in gewissen Situationen eine Person auf das Podium gewünscht, die – sagen wir: mit einem etwas philosophischeren Geist begnadet ist. Falls es denn tatsächlich so ist, dass die Gnade von einer übergeordneten Instanz gespendet wird – wäre diese übergeordnete Instanz dann selbst begnadigt worden? Falls es denn tatsächlich so ist, dass in der modernen Lebenswelt alles zunehmend gnadenloser wird – hätte man dann nicht die Gnade, etwas dagegen zu unternehmen? In der christlichen Tradition ist der Mensch, wie Paulus zu wissen glaubte, zur Freiheit befreit. Und was ist eigentlich mit dem «Charisma», einem Ausdruck, der im Kontext der weltpolitischen Lage in aller Munde ist und dennoch nicht fiel? «Charisma», das heisst «Gnadengabe» – und ist Donald Trump ein Charismatiker? Der Fram-Club hat einen Sommer lang Zeit, um über derlei Fragen zu sinnieren, denn man gönnt sich eine längere Pause und trifft sich erst in rund vier Monaten wieder: Am 5. Oktober spricht man zusammen mit Thomas Hürlimann über dessen neues Stück, «Casanova im Kloster Einsiedeln». Thomas Hürlimann? Casanova? Der Eine hat ein grosses Talent für Philosophie, der Andere ist mit dem Aussehen eines Adonis beschenkt worden. Welche Gnade man lieber hätte?

Einsiedler Anzeiger (chm)

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Einsiedler Anzeiger

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Publiziert am

07.06.2017

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