Literatur
«Es kam vor, dass ich tränenüberströmt am Computer sass»
Mit «Biberbrugg» präsentiert Krimiautorin Silvia Götschi am 28. November im Hotel Post in Biberbrugg den zehnten Roman der Valérie-Lehmann-Serie.
Mit der Bestseller-Autorin Silvia Götschi sprach Lukas Schumacher.
Lukas Schumacher: Frau Götschi, Ihre Krimis begeistern seit Jahren Leserinnen und Leser in der ganzen Schweiz. Was macht für Sie persönlich den besonderen Reiz des Schreibens über dunkle Geheimnisse und menschliche Abgründe aus – und wie hat Ihre Hauptfigur Valérie Lehmann im Laufe der Serie Ihr Leben verändert?»
Silvia Götschi: Mit den Krimis kann ich meine dunkle Seite ausleben. Ich bin wahrscheinlich deswegen ein friedliebender Mensch. Mein Leben wird sich mit Valérie Lehmann in naher Zukunft verändern, falls meine Wünsche wahr werden. Als ersten Schritt habe ich im Frühling 2024 die Valérie Lehmann GmbH gegründet. Mehr sage ich noch nicht dazu.
Jetzt halten Sie den 10. Krimiroman mit Valérie Lehmann in den Händen. Welches Gefühl löst das bei Ihnen aus?
Es ist tatsächlich ein grossartiges Gefühl, zumal ich seit über zehn Jahren Valérie Lehmann treu bin. Sie hat sich mittlerweile unter den Leserinnen und Lesern zu einer Kultfigur entwickelt.
Was war die Inspiration hinter der Figur von Valérie Lehmann, und wie hat sich diese im Laufe der Serie entwickelt?
Inspiriert hat mich vor allem ein starkes Frauenbild. Die Umsetzung ist mir mit Valérie Lehmann gelungen. Sie ist hundert Prozent Frau als Mutter, als Partnerin und Polizistin, mit ihrer Verletzlichkeit und ihrer Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe, und im Gegenzug die Person, die durch schicksalhafte Erfahrungen zu innerer Stärke gelangt ist. In den zehn Krimis beschreibe ich Valérie Lehmanns Leben zwischen 43 und 53, eine Zeit, in der sie sich entwickelt und reift.
Wie würden Sie Valérie Lehmann charakterisieren?
Sie ist klug und einfühlsam, obwohl sie versucht, nicht alles zu nahe an sich heranzulassen. Sie denkt klar und handelt sachlich, manchmal auch intuitiv, die Tendenz zur einsamen Wölfin kann sie schwer ablegen. Über die Jahre ist sie jedoch – mit wenigen Ausnahmen – zum Teamplayer gereift.
Valérie ist eine vielschichtige Figur – wie gelingt es Ihnen, diese Tiefe von Band zu Band aufrechtzuerhalten?
Valérie Lehmann ist Teil meines Lebens geworden, sie ist immer präsent, darum kann ich ihr die Tiefe geben, die es für eine Figurenentwicklung braucht. Sie ist nicht mein Alter Ego, aber vergleichbar mit einer guten Freundin.
Hatten Sie von Anfang an einen Plan für die gesamte Serie?
Die Serie hat sich ohne grosse Planung entwickelt. Nach dem dritten Fall mit Valérie Lehmann wusste ich aber, es würde weitergehen. Ich hatte einfach zu viele Ideen.
Gab es bestimmte Herausforderungen, Valérie in ihrer Entwicklung glaubwürdig und authentisch zu gestalten?
Die erste Herausforderung begann bereits mit dem ersten Fall «Herrengasse». Für viele Leserinnen war die Figur zu kratzbürstig und zu männerfeindlich. Wenn man aber bedenkt, was sie in der Vergangenheit durchgemacht hat, beginnt man, sie zu verstehen. Über die zehn Fälle hinweg lernt man ihre tragische Kindheit, ihre Ehe und den Kampf um das Sorgerecht für ihren Sohn kennen und wie sich das auf ihren Charakter auswirkt.
Warum haben Sie den Kanton Schwyz als Hauptkulisse gewählt?
Ich zog 1999 von Davos nach Küssnacht und lernte durch meine Nachforschungen den Kanton Schwyz besser kennen. Für die «111 Orte des Kantons Schwyz, die man gesehen haben muss» (auch aus meiner Feder), musste ich tatsächlich recherchieren, was mir heute hilft. Das heisst, okay, da war ich schon. Der Kanton Schwyz ist vielfältig, mal ländlich, mal urban. Er liegt idyllisch – der perfekte Kanton, fiktive Verbrechen zu platzieren. Diese Wechselwirkung hat mich von Anfang an fasziniert.
Darf man auf zehn weitere Romane dieser Serie hoffen? Und wenn ja, werden alle im Kanton Schwyz spielen?
Man darf sich auf den elften Fall freuen. An diesem arbeite ich aktuell. Alle Fälle werden weiterhin im Kanton Schwyz spielen und ich denke, noch lange nicht damit aufzuhören. «Ohne zu bluffen, Schreibblockaden kenne ich nicht. Es ist wohl eher so, dass ich zu viele Themen in ein Buch packen will und damit den Leser überfordere.»
Was hat Sie dazu inspiriert, Einsiedeln als einen der zentralen Schauplätze in «Biberbrugg» zu wählen?
Ursprünglich sollte der Weihnachtsmarkt in Einsiedeln Schauplatz eines Verbrechens werden. Dann kam jedoch die Anfrage des Verlags, ob ich nicht einen Weihnachtskrimi schreiben würde, dazwischen. So kam es, dass ich den Weihnachtskrimi «Stille Nacht, mörderische Nacht» in Zermatt/Riffelberg ansiedelte und ihn im Zeitraum zweier Monate schrieb. Der Güdelmontag in Einsiedeln bot sich dann geradezu an für den neuen Lehmann-Fall. Es ist bereits der dritte Krimi, der in Einsiedeln spielt. Schuld daran ist Joe Fuchs vom Benziger Verlag (lacht).
Zwei Morde geschehen an der Einsiedler Fasnacht. Verraten Sie uns, weshalb ausgerechnet an diesen «heiligen» Tagen?
Es macht mir Spass, die Verbrechen an Orten oder Anlässen zu platzieren, wo man sie am wenigsten erwartet. In «Klausjäger» zum Beispiel wurde der Sankt Nikolaus erschossen, was weit schlimmer ist als eine Leiche in einem Sujet-Wagen an der Fasnacht.
Und wie kam es zum Titel «Biberbrugg»?
«Einsiedeln» war schon vergeben und in Biberbrugg/Bennau befindet sich die Kantonspolizei Schwyz. Ich fand den Gedanken reizvoll, das Verbrechen in unmittelbarer Nähe der «Kapo» zu platzieren.
Der zweite Leichenfund ist an den Gestaden des Flusses Alp unterhalb des Gefängnisses. Wie haben Sie in unserer Region für das Buch recherchiert?
Ich recherchiere selten für einen Krimi. Es spielt sich alles in meinem Kopf ab. Ich muss nicht an den Ort des Geschehens pilgern und schon gar nicht Dinge selbst erleben, über die ich schreibe. Ich habe genügend Fantasie, ein gutes Vorstellungsvermögen, weiss viel, weil es kaum eine Frage gibt, die ich nicht beantwortet haben möchte, und ich habe ein fotografisches Gedächtnis. Damit kann ich Bilder abholen, die ich früher gesehen habe.
Wie haben Sie die Spannung um die beiden Morde in Einsiedeln aufgebaut? Können Sie einen kleinen Einblick geben?
Als erstes hatte ich die Idee mit den gestohlenen Luxusautos. Wie werden diese gesucht, wie wegtransportiert? Da kam meine blühende Fantasie zum Zug. Der Kriminalfall hat sich dann um diese eine Geschichte herum entwickelt. Valérie Lehmann muss dieses Mal alle Register ziehen, denn es betrifft sie persönlich. Der Einfall mit den Morden kam kontinuierlich. Da alle Valérie-Lehmann-Bücher düster sind, fiel mir auch der Plot nicht schwer. Ich weiss, meine Vorstellungen sind wirklich morbid und der Tod ist bei mir ein gegenwärtiges Thema. Diese Faszination verfolgt mich, seit ich Kind war.
Was erhoffen Sie sich, dass die Leser aus «Biberbrugg» mitnehmen – abgesehen von der Spannung der Kriminalhandlung?
Sicher ein Quantum der beschriebenen Örtlichkeiten, vor allem für die Leserinnen und Leser, welche die Gegend nicht so gut kennen, zum Beispiel das grösste Hochmoor der Schweiz in Rothenthurm oder die Stimmung am Güdelmontag in Einsiedeln, das Wägital oder die Gegend rund um Biberbrugg. Natürlich sind die Einheimischen besser vertraut als ich. Letztendlich schreibe ich so, wie ich alles vor meinem geistigen Auge sehe. Aber es ist auch ein Sympathiebeweis an den Kanton Schwyz. Das soll man in meinen Krimis spüren. In jedem meiner Schwyzer Krimis steckt ein wenig Heimatliebe.
Wie hat sich die Arbeit an «Biberbrugg » von den vorherigen Bänden der Serie unterschieden?
Wenn ich schreibe, gestaltet sich dieser Prozess sehr gefühlsbetont. Ich arbeite, lebe und fühle mit den Figuren mit. Aufgrund Valérie Lehmanns persönlicher Tragödie war es bei «Biberbrugg» besonders emotional. Es kam vor, dass ich tränenüberströmt am Computer sass.
Wie war es für Sie, mit Valérie Lehmann durch Einsiedeln zu gehen und ihre Perspektive auf diesen Ort zu schildern?
Es war nicht zum ersten Mal, als ich in Gedanken zusammen mit Valérie Lehmann durch Einsiedeln ging. Ich fühle mich dort fast schon wie zu Hause. Auch zum Benediktinerkloster habe ich einen guten Draht.
Wie sind Sie zum Schreiben gekommen, und was hat Sie dazu bewogen, sich auf Krimis zu spezialisieren?
Bereits als Kind und Jugendliche habe ich gern Geschichten erfunden. Auf dem Schulweg zog ich jeweils eine ganze Traube Kinder hinter mir her, denen ich abscheuliche Dinge erzählte. Meine Mutter hörte dann von anderen Müttern, ihre Kinder könnten wegen meiner Schauermärchen nicht mehr schlafen. Mit zwölf gewann ich den ersten Preis bei einer Gedichtausschreibung. Mit dem Titel «Nacht des Grauens» kassierte ich zweihundert Schweizer Franken. Damals war das sehr viel Geld. In diesem Gedicht versetzte ich mich in einen Mörder. Meine ersten Romane waren Liebesgeschichten. Als es darin schon Tote gab, wusste ich, ich möchte mich auf das Krimi-Genre spezialisieren. Mit meinem ersten Krimi «Mord im Parkhotel» war ich eine Vorreiterin für den Regio-Krimi in der Schweiz. Seither schiessen sie wie Pilze aus dem Boden.
Was war der erste Krimi, den Sie je gelesen haben, und hat er Ihre eigene Arbeit beeinflusst?
Wenn man die Romane von Heinz G. Konsalik als Thriller oder Krimi bezeichnen kann, dann war es eindeutig dieser deutsche Schriftsteller. Ich habe seine Bücher verschlungen. Mein allererstes Buch von ihm war «Bluthochzeit in Prag».
Wie gestalten Sie die Recherche für Ihre Romane, besonders wenn es um polizeiliche Abläufe geht?
Ich lese sehr viele Sachbücher über polizeiliche Ermittlungen und die Forensik. Es gibt auch Situationen, in denen ich mir einen Film reinziehe, in dem eine Sektion gezeigt wird. Ich kann mir vieles gut merken, hole mir aber auch Hilfe bei Spezialisten. So durfte ich schon mehrmals bei Dr. Herbert Annen anklopfen.
Was inspiriert Sie ausserhalb der Kriminalliteratur?
Inspiration hole ich auch in der Seelenheilkunde. Die Psychiatrie und Psychologie haben mich seit jeher beeindruckt. Ich versuche daher, mir stets neues Fachwissen anzueignen. In meinen Krimis geht es in erster Linie um Psychopathen und psychisch kranke Menschen.
Wie gehen Sie mit Schreibblockaden um, wenn sie auftreten?
Ohne zu bluffen, Schreibblockaden kenne ich nicht. Es ist wohl eher so, dass ich zu viele Themen in ein Buch packen will und damit den Leser überfordere. Bei mir «schreibt» es Tag und Nacht, wenn ich in den Bergen unterwegs bin, auf dem Fahrrad, zu Fuss in der Stadt oder bei Anlässen. Mein Gehirn rattert fast pausenlos. Ich schlafe wenig und träume viel, auch während des Tages.
Welche Rolle spielt Ihre Familie in Ihrer Arbeit als Autorin? Sind sie erste Leser Ihrer Werke?
Mein Mann ist stets der Erste, der meine Texte zu hören bekommt. Ich lese ihm Passagen vor und er bügelt. Meine Kinder stehen hinter mir und freuen sich, wenn Mami wieder ein Buch fertig hat. Manchmal lesen sie es auch.
Wie hat sich Ihr Schreibstil im Laufe der Jahre entwickelt, und woran arbeiten Sie derzeit, um sich weiterzuentwickeln?
Ganz ehrlich? Ich kann meine ersten Bücher nicht mehr lesen. Ich glaube, mein Schreibstil hat sich positiv entwickelt. Aber das ist ein subjektives Empfinden. Ich versuche, mich laufend zu verbessern. Jedes neuste Buch ist daher das beste. Ich lege die persönliche Messlatte hoch.
Gibt es ein Genre, in dem Sie gerne einmal schreiben würden, abseits der Kriminalliteratur?
Ich würde sehr gern einmal die Biografie meiner beiden Grosseltern schreiben. Das waren unterschiedliche Leben, was die Herkunft und die Ausbildung betrafen. Die einen wohnten in einem damals topmodernen Einfamilienhaus, die andern sehr bescheiden. Es würde auch einiges über meine Herkunft verraten, zum Beispiel war eine meiner Grossmütter Zigeunerin, sofern man diese Bezeichnung verwenden darf.
Was empfinden Sie, wenn Sie auf Lesungen oder Buchvernissagen Ihr Publikum treffen und mit den Lesern in Kontakt treten?
Hauptsächlich bin ich mit einer Krimiperformance und mit einem Auto voller Requisiten unterwegs. Meine Darbietungen sind Lesen, Erzählen, Theater und Musik in einem. Es gibt eine Tatortsicherung und somit viel Interaktion mit den Gästen. Für mich ist es jedes Mal eine grosse Freude, den Menschen zu begegnen, die meine Krimis lesen. Oft entstehen tolle Gespräche oder sogar Freundschaften, aber immer gibt es eine schöne Erinnerung.
Welcher Ihrer bisherigen Romane ist Ihr persönlicher Favorit und warum?
Das ist schwierig zu sagen. Jeder eigene Krimi beinhaltet ein Thema, das mich gerade beschäftigt. Jeder Krimi ist letztendlich ein Lieblingskrimi. Aber wenn Sie mich so fragen: «Itlimoos » steht vor «Biberbrugg» und «Muotathal». Der Plot thematisiert die Cyborg-Szene und Computersimulation, eingepflanzte Chips und den Supercomputer. Ich gehe darin noch weiter als bis 4D. In diesem Krimi konnte ich meine überbordende Fantasie ausleben und habe am Ende gemerkt, so weit von der Realität ist das Ganze nicht.
Wie gehen Sie mit Kritik um, und gibt es eine bestimmte Rezension, die Ihnen im Gedächtnis geblieben ist?
Ich freue mich über jede sachliche Rezension. Wenn sie unter die Gürtellinie geht, merke ich schnell, hier sollte es mich persönlich treffen. Die Missgunst ist oft ein seltsamer Begleiter. Aber ich habe es mir zum Mantra gemacht: «Der Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung. »
Hinweis:
Buchvernissage «Biberbrugg» am Donnerstag, 28. November, 19.30 Uhr, Hotel Restaurant Post Biberbrugg, Kollekte.
Einsiedler Anzeiger / Lukas Schumacher
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Einsiedler Anzeiger
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