Literatur
«Kinder machen mich demütig»
Am 19. September tritt Pedro Lenz zusammen mit Max Lässer im Mauz-Music-Club in Einsiedeln auf – dem Coronavirus zum Trotz Im März machte Corona dem Auftritt von Pedro Lenz und Max Lässer im Klosterdorf einen Strich durch die Rechnung. Nun wird der Gig nachgeholt: «Wir erzählen Geschichten vom Lebensgefühl im Mittelland», sagt der 55-jährige Mundart-Schriftsteller Pedro Lenz.
Magnus Leibundgut: Dem Coronavirus zum Trotz kommen Sie nun doch noch nach Einsiedeln. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, auf Ihrer Tour Halt in Einsiedeln zu machen?
Das verdanken wir unserem Manager, der diesen sagenhaften Club namens Mauz im Klosterdorf kennt. Abgesehen davon bin ich bereits in Einsiedeln aufgetreten: An Lesungen an der Stiftsschule. Um dort Schülern meine Texte vorzutragen.
Was verbindet Sie mit dem Klosterdorf?
Die Religion. Ich bin katholisch erzogen worden, obwohl ich aus dem protestantisch geprägten Langenthal stamme. Ich würde mich als recht gläubigen Menschen bezeichnen, ohne dass ich irgendwem meinen Glauben aufschwatzen möchte. Bei Fragen bezüglich Religion halte ich mich eher zurück, weil sie doch sehr persönlich sind. Sehr gut in Erinnerung sind mir aus der Kindheit Ausflüge ins Kloster Einsiedeln. Die Benediktinermönche haben mich immerzu tief beeindruckt.
Steigen Sie gerne in der Provinz ab?
Ja, sehr. Wobei Einsiedeln nicht doch eher vielmehr ein kleines Städtli ist als denn ein Dorf? Wissen Sie, wenn wir nur in Städten auftreten würden, wären wir schnell durch mit unserer Tournee quer durch die Schweiz. Zudem empfinde ich die Menschen auf dem Land in den kleinen Ortschaften als offen und aufgeschlossen. Man spürt, dass die Leute dort miteinander einen Umgang führen, dass sie sich für die anderen Menschen interessieren. In den Städten halten sich die Leute demgegenüber oftmals in ihren Blasen auf: Da ist dann das Interesse für die anderen eher an einem kleinen Ort.
Spüren Sie einen Graben zwischen Stadt und Land in der Schweiz?
Oh ja. Es ist mir immer wieder aufgefallen, dass Stadt und Land verschiedene Welten bedeuten. Jemand aus der Provinz, der muss auch in die Stadt, um Sachen zu besorgen. Also ist ihm die Stadt nicht fremd. Einer aus der Stadt hingegen findet es nicht nötig, aufs Land zu gehen: Weil er keine Veranlassung sieht, ein Dorf zu besuchen, kennt er dieses auch nicht.
Was macht die Mentalität eines Städters beziehungsweise eines Landeis aus?
Ein Städter ist in der Regel eloquent und zeigt sich mehr oder weniger gleichgültig seiner Umgebung gegenüber. Ein Landei sorgt sich eher um seine Nachbarschaft und versucht einen Umgang mit dieser zu führen. Vor allem unterscheiden sich Städter und Landeier in der Aussensicht voneinander.
Sie selber leben in Olten. Können Sie uns diesen Ort beschreiben?
Ich erlebe Olten als einen sehr offenen Ort. Das hat sicher auch etwas mit seiner Geschichte zu tun. Seit dem Jahr 1870 ist Olten eine Eisenbahnerhochburg: Wegen den SBB-Werkstätten und des Tunnelbaus sind viele Italiener und auch Schweizer aus anderen Kantonen nach Olten gekommen. Auch in religiöser Hinsicht ist Olten eine vielschichtige Stadt: Es gibt nicht nur Katholiken und Reformierte hierzulande. Denn die christkatholische Kirche wurde in Olten gegründet. Ich finde diesen Ort mit 16’000 Einwohnern sehr komfortabel: Es hat dort alles, was man braucht.
Sie erzählen Geschichten vom Lebensgefühl im Mittelland. Was macht dieses aus?
Mit dem Lebensgefühl im Mittelland assoziiere ich eine grosse Normalität, in der sich Schönes und Hässliches vereinen. Im Mittelland mögen die prächtigen Alpen und wundersamen Bergseeli weit entfernt sein. Aber auch im Mittelland finden sich schöne Wiesen, auch wenn sich just dahinter wüste Industriebauten verbergen. Mittelland, das ist einfach typisch Schweiz, weil sich in ihm auch eine normale Durchschnittlichkeit zeigt. Diese kommt denn auch darin zum Ausdruck, dass etwa ein Punker einen Vater hat, der Schwyzerörgeli spielt, und eine Mutter, die Mitglied in einem Trachtenverein ist.
Wir leben in bewegten Zeiten. Wie haben Sie die letzten fünf Monate erlebt?
Ich habe ziemlich gelitten und mich nach der vergangenen Normalität gesehnt. Die Auftritte, die von heute auf morgen gestrichen wurden, bedeuten für mich eine Energiequelle und sind auch ökonomisch bedeutsam, weil vom Bücherverkaufen alleine kann man kaum leben.
Sie stehen normalerweise regelmässig auf Bühnen: Wie waren für Sie die letzten bühnenfreien Wochen?
Ich habe die Bühne sehr vermisst, denn ich trete ja sehr gerne auf. Nun bin ich im Frühsommer zum zweiten Mal Vater geworden: Dieses Ereignis der Geburt hat naturgemäss diese Zeit sehr geprägt.
Empfanden Sie die letzten Wochen auch als inspirierend oder nur als Bürde?
Ich bin sehr zurückhaltend im Umgang mit dem Ausspruch, die Krise bedeute eine Chance. Stimmt das auch wirklich? Vielleicht muss man sich diese Frage stellen, wenn dann mal alles vorbei ist. Natürlich habe ich während des Lockdowns die Musse für Tätigkeiten gefunden, für die mir sonst eher die Zeit fehlt. Ich habe die Zeit gefunden zum Schreiben und um mit den Kindern zusammen zu sein.
Schriftsteller waren erst recht vom Lockdown betroffen: Lassen sich ohne Lesungen überhaupt noch Bücher verkaufen?
Nur wer über einen wirklich grossen Namen verfügt, wie etwa ein Martin Suter, kann in der Schweiz vom reinen Bücherverkauf leben. Diese Schriftsteller kann man an einer Hand abzählen. Ein Autor verdient hierzulande sein Geld mit Lesungen, nicht mit dem Verkauf seiner Bücher. Der Ausfall der Lesungen hat die Schriftsteller auch sehr getroffen. Zum Glück hat uns der Kanton Solothurn unter die Arme gegriffen und uns unterstützt in dieser Zeit.
War es eine gute Idee von Ihnen, vom Schreiben leben zu wollen?
Ja! Sehen Sie, die Berufswelt war für mich immerzu eine schwierige Materie. Zuerst war ich Maurer. Aber für das Technische fehlt mir jegliches Verständnis. Dann wurde ich Jugendarbeiter, ohne wirklich mein Glück in diesem Beruf zu finden. Schliesslich holte ich die Matura nach. Ich war neidisch auf Jugendliche, die bereits mit 15 Jahren ganz genau wissen, was sie werden, welchen Beruf sie ausüben wollen. Meine Entscheidung, vom Schreiben leben zu wollen, hat mir schliesslich Türen geöffnet. Das habe ich nie bereut. Seither finde ich Erfüllung in der Schriftstellerei.
Was bedeuten Ihnen Kinder?
Kinder haben zu dürfen, ist etwas sehr Erfüllendes. Kinder machen mich demütig. Auch wenn ich noch nicht viel bewirken kann für ihre Entwicklung. In der Schwangerschaft und bei der Geburt ist ja eher die Frau gefordert. Später, wenn es dann um die Erziehung geht, komme ich mehr ins Spiel.
Ihre beste Idee sei es gewesen, ein Kind zu zeugen. Halten Sie an dieser Aussage fest?
Unbedingt. Wenn man keine Kinder hat, weiss man auch nicht, was man verpassen könnte, wenn man keine hat. Man hat es ja nicht wissen können. Erst wenn man Kinder hat, ahnt man, was man hätte verpassen können, wenn man sich gegen Kinder entschieden hätte. Was man nicht hat, das kann einem auch nicht fehlen.
Kann man überhaupt noch einer Apokalypse nachhängen, wenn man Kinder hat?
Definitiv nicht. «Nach uns die Sintflut » zu sagen, wenn man Kinder hat, wäre unsinnig und verantwortungslos. Kinder machen demütig, und in dieser Demut spielt denn auch die ganze Schöpfung eine Rolle. Wollen wir den kommenden Generationen eine zerstörte Umwelt überlassen? Es ist höchste Zeit, einen schonungsvollen Umgang mit den Ressourcen dieser Erde zu finden.
Immer mehr psychische Krankheiten tauchen auf. Ist unsere Gesellschaft krank oder sind es die Menschen selbst?
Ich glaube in der Tat, dass es immer mehr Leuten seelisch schlecht geht. Und dass dies auf die gesellschaftlichen Entwicklungen zurückzuführen ist. Vor allem das immer schnellere Tempo überfordert die Menschen. Dafür ist in erster Linie die Digitalisierung verantwortlich, weil sie die Leute unter hohen zeitlichen Druck setzt. Das kommt sowohl in der Arbeitswelt zum Ausdruck, in der Mitarbeiter von einer Videositzung zur nächsten hetzen. Wie auch im Beziehungsleben, in der Digitales richtige Begegnungen ersetzt.
Was werden Sie in Einsiedeln lesen?
Meine neuen Texte schwanken zwischen Melancholie und Heiterkeit, zwischen Tiefsinn und Blödsinn. Ein Text heisst «Fusion». Da beschreibe ich, was in den SBB-Speisewagen am liebsten gegessen wird: Thai Curry und Bündner Nusstorte. Ist das nicht verrückt? Auf diese Weise verbinden sich Exotisches und Regionales vollends. Die Leute wollen Fondue essen und aber auch Chinesisches. So ist unsere Welt: Ich beschreibe sie, ohne zu werten.
Worüber handelt Ihr neuer Roman namens «Primitivo»?
Das Buch erscheint im Herbst und handelt vom Zeitgeist der 80er-Jahre, als es noch Schreibmaschinen und Scheibentelefone, aber sicher keine Computer gab. Es findet sich auch Autobiografisches im Roman: Primitivo heisst ein Maurer, der sein halbes Leben auf dem Bau verbracht hat.
Wohin bewegt sich die Welt?
Ich bin im Analytischen nicht so stark: Diese Frage müssten Sie eher Lukas Bärfuss stellen (lacht). Nun, was die Folgen von Corona betrifft: Ich habe wenig Illusionen, dass der Mensch die richtigen Schlüsse aus diesem Virus zieht und sein Leben und Verhalten nachhaltig verändert. Er wird all das Konsumistische kaum einfach so aufgeben wollen. Auf der anderen Seite will ich nicht glauben, dass der Mensch die Erde zugrunde richtet und die Welt untergeht. Ich habe die Hoffnung, dass es irgendwie weitergeht. Auch wenn wohl nicht mehr mit demselben Wohlstand wie bis anhin.
Zur Person
Pedro Lenz, am 8. März 1965 in Langenthal geboren, ist ein Schweizer Schriftsteller, der meist in Mundart schreibt und vorträgt. Er schloss 1984 die Lehre als Maurer ab. Auf dem zweiten Bildungsweg absolvierte Pedro Lenz 1995 die Eidgenössische Matura. Anschliessend studierte er einige Semester spanische Literatur an der Universität Bern. Seit 2001 arbeitet Pedro Lenz vollzeitlich als Schriftsteller. Er schreibt Kolumnen für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, von der NZZ bis zur WOZ. Als Autor ist er Mitglied des Bühnenprojekts «Hohe Stirnen» und der Spoken- Word-Gruppe Bern ist überall. Pedro Lenz hat Texte für verschiedene Theatergruppen und für das Schweizer Radio SRF verfasst. Er ist seit 2007 Mitglied des Teams der Morgengeschichte von Radio SRF 1, wo er regelmässig um 8.40 Uhr zu hören ist. Im Jahr 2008 nahm Pedro Lenz an den Klagenfurter Literaturtagen teil. Er hat sich mehrfach zu aktuellen politischen Themen geäussert, so zum Beispiel als Präsident des Vereins Nein zum Sendeschluss gegen die Volksinitiative Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (No Billag). Pedro Lenz lebt in Olten und ist dort mit dem Journalisten Werner de Schepper Mitinhaber eines Restaurants. An Silvester 2017 wurde er gemeinsam mit der Schauspielerin und Fernsehmoderatorin Rahel Grunder, Tochter des Politikers und Unternehmers Hans Grunder, Vater eines Sohnes. Am 18. Oktober des darauffolgenden Jahres heiratete das Paar an ihrem 30. Geburtstag. Im Frühsommer ist ein zweiter Sohn geboren worden.
Einsiedler Anzeiger / Magnus Leibundgut
Autor
Einsiedler Anzeiger
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Kategorie
- Literatur
Publiziert am
21.08.2020
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