Historikerin Kerstin Ochsner präsentiert eine Hellebarde und eine alte Krücke vor einem Marien- und einem Fasnachtsbild.
Historikerin Kerstin Ochsner präsentiert eine Hellebarde und eine alte Krücke vor einem Marien- und einem Fasnachtsbild.

Dies & Das

Kostbarkeiten und Kuriositäten

Im Untergrund des Altersund Pflegeheims Langrüti befinden sich der Kulturgüterraum und ein Teil des Einsiedler Bezirksarchivs. Nebst skurrilen Prunkstücken wie der Kanone aus dem 18. Jahrhundert gibt es ein handschriftliches Notenblatt von Artur Beul, einen vergoldeten Pokal und viele weitere Kostbarkeiten zu entdecken.

«Die Kulturgütersammlung ist die Sammlung kulturell und historisch bedeutsamer Objekte im Besitz des Bezirks Einsiedeln. Sie ist keine reine Kunstsammlung, obwohl sich auch Kunstwerke in der Sammlung befinden. » So beschrieb Bezirksammann Franz Pirker die Einsiedler Sammlung verschiedenster historischer Objekte im Vorwort zur Schrift «Abgestaubt», dem 43. Band der Schriften des Kulturvereins Chärnehus von 2016. Seine Zusammenfassung beschreibt nur ansatzweise, was einen im Kulturgüterraum erwartet: Eine kunterbunte Sammlung von grossen und kleinen Dingen aus der nahen und fernen Vergangenheit. Begibt man sich die geschwungene Einfahrt an der Ecke Allmeind-/Langrütistrasse hinunter, steht man im Halbdunkel vor einem raumhohen, doppelflügligen Panzertor. Kerstin Ochsner wuchtet es geübt auf und geht voran in die nüchternen, hohen Kellerräume. Sie hat sich bereit erklärt, dem Einsiedler Anzeiger für die Sommerserie einen Einblick in die Kulturgütersammlung zu gewähren. Die studierte Historikerin ist vom Bezirk March als Bezirksarchivarin angestellt und betreut in dieser Funktion dank einer Zusammenarbeit zwischen den beiden Bezirken seit Mitte Juli auch einen Tag pro Woche das Bezirksarchiv Einsiedeln. Sie ist die Nachfolgerin von Marina Braunschweiger, die Mitte Jahr pensioniert wurde.

Ein richtiges Sammelsurium

Im Kulturgüterraum kommt die Bennauerin Kerstin Ochsner ob dem einen oder anderen Objekt oft selbst noch ins Staunen, denn ihr eigentliches Spezialgebiet ist das Schriftgut, das in anderen Räumlichkeiten lagert. Über den alten Rollstuhl, der zwischen einem grossen, farbigen Bleiglasfenster aus dem Gebäude des heutigen Kultur- und Kongresszentrums Zwei Raben und einer Kanone aus dem 18. Jahrhundert steht, weiss man nichts Genaues. Es ist auch nichts darüber im Verzeichnis der Kulturgüter vermerkt, in welchem jedes Objekt mit Signatur und Informationen dokumentiert wird. «Es ist ein richtiges Sammelsurium hier unten», schmunzelt die Archivarin über die vielen kulturellen und historischen Objekte, die alle einen Bezug zu Einsiedeln haben. Manche sind dem Bezirk geschenkt worden, andere haben die Zeit in Schulzimmern, Amtsstuben oder Polizeiposten überdauert und schliesslich den Weg ins Archiv gefunden. Als Laie hat man das Gefühl, die grossen Objekte seien ein bisschen nach dem Zufallsprinzip hier deponiert worden. Kerstin Ochsner meint denn auch, es bestünde bei einigen Sachen noch Aufarbeitungsbedarf. Wichtig ist aber, dass die Gegenstände in emissionsarmer Atmosphäre lagern, was in diesem Kulturgüterraum gewährleistet ist. Luftfeuchtigkeit und Temperatur sind konstant – und von Zeit zu Zeit wird abgestaubt.

Objekte mit bekannter und unbekannter Herkunft

Eine der Kuriositäten unter den grossen Kulturgütern ist ein «Pulmotor», ein Notfall-Beatmungsgerät von 1942. Er ist fein säuberlich in einer soliden Holzkiste verpackt, sogar die Gebrauchsanleitung ist noch vorhanden. Das Gerät wurde auf ein Gesuch des Fischereivereins für die Seerettung angeschafft und Gebrauchsspuren verraten, dass es oft im Einsatz war. Ein besonders wertvolles Objekt stellt ein Deckelpokal aus vergoldetem Silber dar. Hergestellt wurde das kostbare Stück im 16. Jahrhundert in Süddeutschland. Wie es den Weg nach Einsiedeln fand, ist nicht zweifelsfrei überliefert. 1731 wurde der Pokal restauriert, wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Gründung der Einsiedler Zünfte.

«Stägeli uf, Stägeli ab»

Bevor es weitergeht zum Schriftenarchiv nimmt Kerstin Ochsner noch einen unscheinbaren Bilderrahmen aus dem Gestell. Darin befindet sich ein doppelseitiges Notenblatt mit dem handschriftlichen Original des Liedes «Stägeli uf, Stägeli ab» von Artur Beul. «Es hing jahrelang in einem Schulzimmer, bis man erkannte, dass man es wohl sicherer aufbewahren müsste», erklärt die Archivarin. In einem anderen Teil des Langrüti- Untergrundes befinden sich die Schriften des Bezirks. Hier lagern Protokolle, Stimmregister, Einwohnerverzeichnisse, Familien Stammbücher, Taufbücher, Grundbücher und Urkunden und viele Dokumente mehr. Manche wurden zu Büchern gebunden, andere sind als Loseblattsammlungen in säurefesten Kartonschachteln versorgt. «Das ist mein Metier, meine Leidenschaft!», schwärmt Kerstin Ochsner. Sie zieht eine dünne Kartonschachtel aus dem Rollregal und präsentiert die älteste Urkunde des Archivs, geschrieben auf feinstem Pergament, versehen mit zwei Siegeln, die mit Bändchen am Dokument befestigt sind. Als Historikerin kann sie die alte Handschrift geübt entziffern: «Es geht um eine Art Pachtvertrag für die Schweig ‹Obren grossa›, also einer Viehweide im Obergross», erklärt sie den Inhalt des Briefes aus dem Jahr 1301.

Historische Schriften als Leidenschaft

«Mein Beruf ist meine Leidenschaft geworden», erklärt sie weiter: «Mich interessieren so viele Dinge, ich habe den Drang, immer mehr zu wissen und zu begreifen, wie sich Kultur, Wirtschaft und Bevölkerung über all die Jahrhunderte entwickelt haben.» Vielleicht hat sie diese Leidenschaft von ihren Grosseltern geerbt: «Mein Grossvater hat schon alles gesammelt und die Grossmutter war sehr an ihrer Familiengeschichte interessiert. » Ein Schriftenarchiv ist wie ein Fenster in die Vergangenheit. «Man sieht, wie die Menschen gelebt haben, welche Rechte sie hatten und wie sie ihre Ressourcen nutzten, selbst unter katastrophalen Lebensumständen», erklärt Kerstin Ochsner ihre Leidenschaft für das, was andere langweilig finden. Zum Schluss windet die Historikerin den Einsiedlerinnen und Einsiedlern noch ein Kränzchen: «Hier sind die Menschen viel mehr historisch interessiert als an manch anderen Orten.» Ein Kompliment, das gerne weitergegeben wird.

Einsiedler Anzeiger / Gina Graber

Autor

Einsiedler Anzeiger

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Publiziert am

05.09.2023

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