Tatjana Hauptmann fühlt sich in Einsiedeln heimisch. Bild Mona Ziegler
Tatjana Hauptmann fühlt sich in Einsiedeln heimisch. Bild Mona Ziegler

Kunst & Design

Tatjana Hauptmann, Illustratorin, Baronesse, Kopfreisende, Künstlerin

Die Internet-Suchmaschine Google findet in 0,05 Sekunden 50'900 Einträge zum Namen Tatjana Hauptmann. Und wessen Name Eingang findet auf Wikipedia, diesem riesigen Online-Brockhaus, hat es definitiv geschafft!

Tatjana Hauptmann gehört beim renommierten Diogenes-Verlag seit Jahrzehnten zu den sicheren Werten. Sie hat so wunderbare Figuren wie die liebenswürdige Schweinemutter Dorothea Wutz oder die berühmten ZDF-Mainzelmännchen zum Leben erweckt. Wie kommt eine solche Künstlerin nach Einsiedeln? Ob ich überhaupt einen Interview- Termin bekomme? Ohne Starallüren sagt Tatjana Hauptmann spontan zu.

Wann waren Sie das erste Mal in Einsiedeln?

Mit einer Freundin besuchte ich vor Jahren die Brockenstube im Hotel Schweizerhof an der Hauptstrasse. Wir haben wunderbare Preziosen gefunden. Einige Zeit später dann war ich Gast in der Buchhandlung Benziger und signierte bei Joe Fuchs Bücher. Es war toll, es kamen unglaublich viele Leute. Später lernte ich Bruder Gerold Zenoni kennen und wir hatten eine Lesung in der Alten Mühle.

Und nun wohnen Sie in Einsiedeln?

Mit meiner Familie bewohnte ich ein Haus in Thalwil mit Blick auf den See und in die Alpen und einem wunderbaren Rosengarten. Ich züchtete alte Rosensorten. Als mein Sohn David auszog, wurde mir alles zu gross. Wir verkauften das Haus und so zog ich hierher. Gerne hätte ich in Einsiedeln gebaut, fand aber kein geeignetes Grundstück. Ich brauche Platz zum Arbeiten. Nordwest-Licht ist wichtig zum Zeichnen. Mein Traumhaus ist am Entstehen; zu meinem Bedauern nicht in Einsiedeln.

Sie wohnen zurzeit im Schiff, einem ehemaligen Pilgerhotel. Sind Sie eine Reisende?

Überhaupt nicht! Ich bin eine Setzkartoffel, hocke am liebsten auf der Scholle. Ich liebe meine Arbeit, brauche meine Malutensilien um mich. Im Gegensatz zu meinem Vater, Baron Nikolai Fjedorowitsch von Sass. Seine Familie besass Landsitze in Sibirien, Moskau und bei St. Petersburg. Dauernd ist die Familie mit Sack und Pack umgezogen. Als 16-Jähriger floh mein Vater mit seiner jüngeren Schwester vor den Kriegswirren zuerst nach Polen, später nach Deutschland. Sein Leben lang sehnte er sich zurück nach St. Petersburg. Er erlebte das Warschauer Getto und den Einmarsch der Russen in Deutschland. Das kriegt man nie mehr weg. Trotz schrecklicher Erinnerungen war mein Vater ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Das hat mich geprägt. Ich wurde eine Kopfreisende. In Deutschland fühlten sich meine Schwester und ich nie heimisch. Die anderen Kinder schimpften uns Dreckrussen oder Polacken. Wir gaben uns deutsche Namen, um nicht aufzufallen. Russisch sprechen wollten wir schon gar nicht. Auf Russisch schimpfen kann ich aber heute noch.

Wo ist heute Heimat für Sie?

In der Schweiz. Ich wohne seit 34 Jahren in diesem Land. Damals bekam ich zum ersten Mal das Gefühl: «Hier kann ich sein.» Nie, nie hatte ich Grund für schlechte Gefühle. Die Menschen sind herzlich. In Zürich hatte ich zudem mit Diogenes meinen Verlag gefunden. Die Atmosphäre ist familiär. Mit Daniel Keel fühle ich mich verbunden wie mit dem eigenen Vater. Wenn Schweizer über ihr Land schimpfen, möchte ich sie am liebsten zur Kur nach Deutschland schicken. Das Leben dort ist sehr schwierig geworden.

Und die Einsiedler? Sind sie nicht eher verschlossen?

Wer das sagt, das kapier ich nicht! Ich erlebs nicht so. Man darf sie nicht überrollen. Dann erkennt man ihre Qualitäten. Ich liebe die Feierfreudigkeit der Einsiedler. Diese Art ist mir ähnlich, nicht so elitär wie in der Stadt – das «Grosskotzete», wie der Bayer sagt. Ich liebe den Ort, die Landschaft. Ich bin gerne über lange Zeit alleine, eine Einsiedlerin im wahrsten Sinne des Wortes. Da mir die Stille in der Wohnung fehlt, bin ich oft mit meinem Skizzenbuch draussen unterwegs. Ich habe meine bevorzugten Wege. So kann ich arbeiten, denken. Nach aussen bin ich in solchen Momenten verschlossen. Doch ich schätze den Kontakt mit den Menschen. An die Kuhschau im Herbst auf der Klosterwiese wollte ich nur eine Stunde. Ich blieb den ganzen Tag und hatte interessante Gespräche mit den Bauern. Auch mit dem Kloster bin ich verbunden. Diese Institution ist wichtig für den Ort. Einsiedeln ist mir Heimat geworden. Und doch bleibt eine

Autor

Einsiedler Anzeiger

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  • Kunst & Design

Publiziert am

05.01.2011

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