Der jüngste Spross einer mittlerweile eindrücklichen Serie: «Weisch nu früener» – die Nummer 39 der Chärnehus-Schriften. Bild Victor Kälin
Der jüngste Spross einer mittlerweile eindrücklichen Serie: «Weisch nu früener» – die Nummer 39 der Chärnehus-Schriften. Bild Victor Kälin

Literatur

Die Vergangenheit feiert Gegenwart

Mit einer beeindruckend vielfältigen Schrift lässt die Ausstellungsgruppe des Einsiedler Chärnehus' ihre aktuelle Ausstellung «Weisch nu früener» die Zeit überdauern.

Es ist nicht einfach ein Muss, jede Chärnehus-Ausstellung mit einer Schrift zu dokumentieren. Es ist selbst nach mittlerweile stolzen 39 Heften noch immer eine Lust! Nur zu dieser Erkenntnis kann gelangen, wer die neueste Ausgabe der Chärnehus-Schriften zur Hand nimmt: «Weisch nu früener» – Einsiedeln von 1930 bis 1965.

Der Alltag in neun Kapiteln

Doch wie fängt man eine Zeitspanne ein, der ein Teil der Autoren und Autorinnen als Zeitzeugen selbst angehört? Die sich in vielfältiger und kaum geordneter Art irgendwie im Gedächtnis oder in Gegenständen verewigt hat? Was tun mit der Fülle an Informationen und Empfindungen? D ie Autoren und Autorinnen entschieden sich unter der Leitung der beiden Redaktorinnen Susanna Bingisser (Jahrgang 1980) sowie Madeleine Schönbächler (Jahrgang 1954), die besagte Zeitachse in neun Kapitel zu unterteilen und je einer Person zuzuordnen: Christine Doerfel «Siedlung und Landschaft», Madeleine Schönbächler «Heim und Herd», Hans Gyr «Bildung», Albert Bingisser «Arbeit – Gewerbe», Markus Staub «Arbeit – Landwirtschaft», Josef Fraefel «Arbeit – Pilgerwesen und Tourismus», Anna Kuriger-Füchslin «Bekleidung und Frisuren», August Füchslin «Mobilität» sowie Susanna Bingisser «Freizeit». Die damit erreichte Gliederung ist nur einer der Gründe, weshalb die 144 Seiten dicke Schrift kurzweilig zu lesen ist. Ein weiterer ist der sich von Autor zu Autorin wechselnde Stil sowie – natürlich – die vielen Fotos und Illustrationen, welche ein zügiges Blättern verunmöglichen, da man regelmässig am Gezeigten «hängenbleibt».

Identifikation über Generationen

Damit ist der offensichtliche Reiz des Themas «Weisch nu früener» angesprochen: die Identifikation. Selbst der nachgeborenen Generation ist vieles noch vertraut; und was sie selbst nicht kennt, versetzt sie in schier ungläubiges Staunen, was Susanna Bingisser in ihrem Vorwort treffend auffängt: «Wie staunte ich, als ich im Gespräch erfuhr, dass man in den 1950ern imDorf Gefrierfächer mieten konnte, da man ja kein eigenes besass.» Und wer selbst in dieser Zeit gelebt hat, dem sind Buch (und Ausstellung) eine Offenbarung. Kaum zuvor dürfte ihm seine Vergangenheit so strukturiert und so detailliert vor Augen geführt worden sein – sicher nicht der gänzlich «unspektakuläre» Alltag. Die Kunst des Buches (und der Ausstellung) besteht darin, dass praktisch jeder Leser, respektive Besucher, irgendwie automatisch von den bewusst allgemeingültigen Aussagen auf seine eigene Biografie schliesst. Es ist ein Vergnügen, sich durch die Kapitel zu lesen auf der Suche nach Bekanntem – und sich von Unbekanntem überraschen zu lassen.

Die Vergangenheit insgesamt

Der Ausstellungsgruppe des Kulturvereins Chärnehus gehört ein dickes Kompliment für die Wahl ihres Themas und die aufwendige Umsetzung. Sie hat mit Schrift und Ausstellung den Fokus bewusst auf den Alltag, das Alltägliche gelegt. Und somit auf das, was uns zwar am nahesten und vertrautesten ist, interessanterweise aber zumeist als keiner vertiefteren Betrachtung würdig erachtet wird. Damit hat die Ausstellungsgruppe erreicht, dass nicht nur Jahrhun-dertereignisse wie der Sihlseebau oder der Zweite Weltkrieg gegenwärtig bleiben, sondern die Vergangenheit insgesamt.

Infos

www.chaernehus.ch



Einsiedler Anzeiger

Autor

Einsiedler Anzeiger

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Kategorie

  • Literatur

Publiziert am

21.12.2012

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www.schwyzkultur.ch/PhFk4X