Livio Andreina: «Wir lassen das Einsiedler Spielvolk nicht im Stich»
Livio Andreina: «Wir lassen das Einsiedler Spielvolk nicht im Stich»
Der Kern der künstlerischen Leitung bleibt: Regisseur Livio Andreina (links) und Autor Lukas Bärfuss schauen gemeinsam Richtung Welttheater 2021. Bilder Archiv EA
Der Kern der künstlerischen Leitung bleibt: Regisseur Livio Andreina (links) und Autor Lukas Bärfuss schauen gemeinsam Richtung Welttheater 2021. Bilder Archiv EA

Bühne

«Mein innigster Wunsch ist es, dass alle wieder mitmachen …»

Das Feuer für die Weiterarbeit am Welttheater liegt für Livio Andreina in der Begeisterung der Mitwirkenden. Dieses liege jetzt zwar still. Doch es werde neu entzündet, verspricht der Regisseur. Niemals würde er das Einsiedler Spielvolk im Stich lassen, schreibt Autor Lukas Bärfuss. Die Zeit werde zeigen, welchen Einfluss die Verschiebung auf den Inhalt des Stücks haben wird.

Victor Kälin: Das Welttheater wird um ein Jahr verschoben. Wie kommentieren Sie die Verschiebung auf 2021?


Livio Andreina: Es ist die einzig richtige und relevante Lösung. Das sofortige grundsätzliche Ja von Kloster und Bezirk haben diese Entscheidung bestärkt. Letztlich sind auch alle Mitwirkenden erleichtert und natürlich froh, dass wir nächstes Jahr weiterarbeiten können.

Der Welttheatervorstand liess ausrichten, dass Sie als Regisseur auch 2021 zur Verfügung stehen. Gab es auch Zweifel, das Mandat niederzulegen und die Aufgabe der Gesellschaft zurückzugeben?


Noch während der Entscheidungsfindung habe ich alle meine Zeiten für nächsten Sommer schon einmal freigeschaufelt. Für mich steht dieses Projekt an oberster Stelle. Zudem habe ich im selben Atemzug Lukas Bärfuss und die gesamte künstlerische Leitung und nicht zuletzt Vorstand und Produktionsleitung gefragt, ob sie denn nächstes Jahr mit dabei sind. Nun bin ich sehr glücklich, gemeinsam mit diesem wunderbaren Team den künstlerischen Weg bis zur Premiere im Juni 2021 weiterzugehen.

Was bewog Sie, mit den Einsiedlern weiterzumachen?


Das Welttheater Einsiedeln ist einmalig, schweizweit: durch den Ort, die Tradition, die Dimension, auch durch den künstlerischen Anspruch, vor allem aber durch das Spielvolk. Seit letzten November ist während den Proben ein grossartiges Ensemble entstanden. Wir sind zu einer künstlerischen Gemeinschaft zusammengewachsen, wir spielen, tanzen, singen, musizieren. Das erfüllt mich mit Freude, wir sind so richtig unterwegs und das will ich unbedingt weiterführen.

Und das Stück: Bleibt der Inhalt oder haben Sie Autor Lukas Bärfuss schon zu einer Sitzung eingeladen mit dem Ziel, den Text anzupassen, die jüngsten Entwicklungen aufzunehmen?


Der Inhalte unseres Stücks sind nicht allein abhängig von aktuellen Zeitereignissen und gesellschaftlichen Prozessen. Das Stück von Lukas handelt von den existenziellen Fragen des Menschen, sie sind zeitlos. Die jüngsten Ereignisse werden umso klarer lesbar sein.

Auch Sie als Regisseur sind in Sekundenschnelle von 100 auf 0 heruntergefahren worden. Die Verschiebung hat enorme Auswirkungen auf Ihre Arbeit als Regisseur …


In der Arbeit im Theater geht es um den Menschen, wie er beschaffen ist, in welchen Beziehungsstrukturen er sich gerade befindet, wie er Probleme löst. Das Wunderbare in meiner Arbeit als Regisseur ist, solche Fragen des Menschseins in eine Bühnenwirklichkeit umzusetzen. Das geht jedoch nur, wenn ich im Probenraum mit andern Menschen direkt arbeiten kann, sie sind das «Material», durch die ein Stück zum Theater wird, das geht nur analog, da gibt es kein Homeoffice. So sitze ich denn alleine zu Hause, erdenke Konzepte, entwickle Bilder und Figuren, verwerfe sie wieder, denke sie neu und inszeniere mein geliebtes Einsiedler Ensemble «nur» in der inneren Vorstellung und Phantasie auf dem Klosterplatz …

Wie packen Sie das Welttheater 2021 aus strategischer Sicht an: Tun Sie so, als gäbe es einen Neuanfang, oder machen Sie «einfach weiter»? Kann man das Feuer am Leben erhalten? Oder muss es neu entfacht werden?


Wir haben uns in den bisherigen Proben einen riesigen Rucksack vollgepackt: die Inszenierung ist skizziert, die choreografischen Elemente sind angelegt, Chor und Orchester üben bereits die ersten Stücke, Konzepte für Kostüme und den Bühnenraum stehen, es wurde bereits fleissig genäht und gebaut. Das Feuer für die Weiterarbeit liegt jedoch in der Begeisterung der Mitwirkenden, es liegt jetzt still. Wir entzünden es neu, wenn wir die Proben wieder aufnehmen, dann brennts.

Haben Sie eine Verschiebung einer auf Hochtouren laufenden Produktion überhaupt schon einmal erlebt?


Nein, das habe ich so noch nie erlebt. Es hat etwas Absurdes, Ungreifbares. Es wirft einem auf sich selbst zurück. Es entsteht eine «leere Zeit», eine Besinnungszeit.

Wie geht es Ihnen emotional? Sie waren «voll von Welttheater ». Steckt man das einfach so weg?


Einen so intensiven gemeinsamen Probenprozess, wie ich ihn mit dem Einsiedler Ensemble erlebt habe, steckt man nicht einfach so weg, wir waren sehr gut unterwegs. Ich bin traurig, lerne die Situation zu akzeptieren und gewinne langsam die Zuversicht für eine Zeit nach dem gekrönten Virus. Für das Spielvolk vor und hinter der Kulisse ist jetzt einmal Welttheater-Pause.

Wissen Sie schon, wie und wann es weitergeht?


Diesen Herbst will ich die Proben wieder aufnehmen, vorerst in Form von einzelnen losen Workshops. Dann ab Januar 2021 beginnen wir wieder mit den dichten Probenplänen. Die Rollen sind verteilt, die Abläufe schon gut eingespielt.

Behalten die Spieler und Spielerinnen ihre Rollen, oder stehen diese zur Diskussion?


Mein innigster Wunsch ist es, dass alle wieder mitmachen und selbstverständlich bleiben allen die Rollen erhalten, sie sind ja bis in die letzten Szeneneinheiten verteilt: der Alte, die Kinder, die Bauern, die Rebellen, die Gequälten, die Schönen … alle Rollen!

Nicht nur das bestehende Ensemble ist zur Teilnahme 2021 eingeladen, sondern auch alle anderen Interessierten, liess der Vorstand verlauten …


Es gibt sicher wieder einen Welttheatertag, an dem wir den Stand des Projekts vermitteln. Sehr schön, wenn sich dann auch viele neue Menschen für das Welttheater begeistern. In den erwähnten Herbst-Workshops arbeiten wir an den bereits erarbeiteten Choreografien und szenischen Elementen und können so alle Neubegeisterten herzlich einladen und direkt über die Stimmungen des Stücks mit auf das Boot nehmen. Es ist nicht immer nur alles negativ.

Was können Sie der Verschiebung auf 2021 Positives abgewinnen?


Das Corona-Phänomen ist ein globales Ereignis, es hat unser Dasein durchgerüttelt. Die Fragen nach dem Wesentlichen im Leben sind wacher geworden. Ich denke, die Inhalte unseres Stücks werden noch tiefer greifen und die Zuschauer noch von einer ganz anderen Seite her berühren.



Victor Kälin: Die Verschiebung kommt angesichts der Umstände nicht überraschend. Stimmt das so für Sie – oder haben Sie als Autor auch noch eine andere Möglichkeit in Betracht gezogen?


Lukas Bärfuss: Die Entscheidung wurde vom Vorstand in enger Absprache mit der künstlerischen Leitung gefällt. Natürlich hat er meine volle Unterstützung. Jede andere Möglichkeit wäre nicht zu verantworten gewesen, gesundheitlich nicht, organisatorisch nicht, finanziell nicht, künstlerisch nicht. Das Welttheater wird um ein Jahr verschoben.

Hat das Auswirkungen auf Ihre Geschichte? Müssen der Text neu geschrieben, modifiziert und Passagen angepasst werden?


Was wir jetzt sehen, ist eher, dass das Stück eine beinahe beängstigende Aktualität hat. Gleichzeitig ist seit zwei Wochen alles anders geworden. Das Leben von uns allen, von jedem in dieser Gesellschaft, hat sich von Grund auf verändert. Niemand kann abschätzen, welche Auswirkungen dies auf unser Bewusstein, auf unsere Politik, auf die Kunst, auf das Theater und damit auf unser Stück haben wird. In ein paar Monaten wissen wir mehr.

Bleibt Ihr Stoff, Ihr Welttheater-Thema auch in der Nach-Corona- Zeit aktuell? Wie verarbeiten Sie auch ausserhalb des Welttheaters als Schriftsteller, Autor und Zeitungskolumnist das Thema Coronavirus? Wo schwanken Sie zwischen Bedrohung und Inspiration?


Wir erleben gerade eine gesellschaftliche Katastrophe. Wir können die Schäden noch in keiner Weise absehen. Und das betrifft natürlich auch mich persönlich, meine Familie und meinen Beruf als Schriftsteller. Die akute Krise wird vorbeigehen, aber wir wissen alle, dass das Leben, so wie wir es kannten und führten, nicht mehr zurückkommen wird.

Der Welttheatervorstand liess ausrichten, dass Ihr Text auch 2021 gespielt werden kann, dass Sie als Autor «an Bord» bleiben. Gab es Momente des Zweifels? War für Sie ein Rückzug als Autor eine Option?


Nein, nie, im Gegenteil. Ich würde die Einsiedler, das Spielvolk, das Welttheater niemals im Stich lassen. Wir haben schliesslich eine Familie. Und gerade in solchen Zeiten ist die Kunst wichtig für den Zusammenhalt. Sie gibt Hoffnung, sie lässt uns an bessere Zeiten denken. Es ist nicht immer nur alles negativ.

Was können Sie der Verschiebung auf 2021 Positives abgewinnen?


Die Vorfreude dauert nun noch ein bisschen länger!

Einsiedler Anzeiger / Victor Kälin

Autor

Einsiedler Anzeiger

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Kategorie

  • Bühne

Publiziert am

27.03.2020

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