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Nadja Räss: Vom spielerischen Entdecken des Urgesangs
Im Fram-Club war die Jodlerin Nadja Räss zu Gast. Eindrücklich schilderte sie ihre Gratwanderung zwischen Klassik und Volksmusik und die Suche über Klanggrenzen hinweg. Mit ihrem Charisma und ihrer Gesangs-Freude brachte sie den ganzen Saal zum Singen.
Von Beginn weg übertrug die Jodlerin und Trägerin des «Goldenen Violinschlüssels» ihre positive Ausstrahlung auf die vielen Besucher des Fram-Clubs. Ihr Gesprächspartner Walter Kälin entlockte ihr mit professionellem Geschick und viel Humor einige Geheimnisse des Urgesangs und ihrer eigenen Lebensgeschichte. Der Anfang dieser Geschichte war klar und deutlich: «Ich wusste schon als Kind, dass ich Jodlerin werden wollte», erklärte Räss. Damit schien der Rest vorgegeben, wenn auch ihr Weg zur professionellen Volksmusikerin hätte anders verlaufen können. Das Jodeln bekam sie bereits in der Kindheit durch ihre Familie vermittelt. Statt es jedoch bei ihrem «Naturtalent» zu belassen, besuchte sie die Einsiedler Stiftsschule. Latein sei ihr zwar nicht besonders gelegen, aber es habe ihr den Zugang zum gregorianischen Gesang verschafft, erklärte sie. Nach der Matura dachte sie zwar noch an eine Ausbildung als Lehrerin oder im Hotelfach, doch dann wusste sie: «Die Musik ist es!» Sie entschloss sich zum Gesangsstudium an der Hochschule der Künste in Zürich, an der das Jodeln zu dieser Zeit noch ein ziemliches Fremdwort war. Zum Glück habe ihre Lehrerin jedoch das Jodeln neben der klassischen Ausbildung akzeptiert. «Ich erhielt eine solide Ausbildung zur Coloratur-Sopranistin, aber sie hat mich auf beiden Gebieten gefördert und gefordert», erzählte Räss dankbar. An dieser Stelle erläuterte sie die Unterschiede zwischen den Gesangsformen, der Bruststimme der Klassik und der Kopfstimme des Jodelns, und gab dazu gleich musikalische Kostproben. «Gesangsausbildung ist Muskeltraining, und die verschiedenen Stimmarten sind wie die Register einer Orgel.» Dabei wies sie auch darauf hin, dass das Jodeln, beziehungsweise die Kopfstimme, durch eine einseitige Ausbildung regelrecht «wegtrainiert» werden könne.
Jodeln heute als Gesangsform ernst genommen
Natürlich konnte es Moderator Walter Kälin nicht lassen, Loriots «Jodelschule» ins Spiel zu bringen und damit die Frage aufzuwerfen, inwiefern das Jodeln als professionelle Disziplin überhaupt ernst genommen werde. Räss, die heute als Professorin für «Jodel» an der Hochschule Luzern unterrichtet, meinte dazu, dass diese Gesangsrichtung nicht mehr in Frage gestellt werde. Das gleichberechtigte Nebeneinander von Klassik und Volksmusik sei ihr persönlich sehr wichtig und heute eine Selbstverständlichkeit. «Für mich ist es immer noch herrlich, an irgendeiner ‹Hundsverlochete› einen Naturjodel zu hören – das geht mir durch Mark und Bein», fügte sie lachend hinzu. Räss betonte weiter, wie wichtig die Erforschung der Wurzeln und die gleichzeitige Suche nach Neuem in der Volksmusik sei. Es sei gut, sein musikalisches Zuhause zu kennen, in das man nach Grenzgängen und Experimenten wieder zurückkehren könne. Das spielerische Entdecken anderer Klangwelten gehöre gewissermassen zu ihrem Beruf.
Von einheimischen Moorlandschaften inspiriert
Als Beispiele erwähnte sie ihre Zusammenarbeit mit Jazzmusikerinnen und Jazzmusikern und gemeinsame Folklore-Projekte mit schwedischen, finnischen und ukrainischen Sängerinnen. Kälin griff auch die düsteren Moll-Töne auf, die Räss in vertonten Texten von Meinrad Lienert vorträgt. Ihre Vorliebe für die Melancholie erklärte Räss damit, dass in der Volksmusik bisher das Meiste sehr heiter gewesen sei und es wichtig sei, auch die anderen Seiten des Lebens zu zeigen. Dabei beschrieb sie ihre grosse Liebe zu den heimischen Moorlandschaften in Rothenthurm und in der Schwantenau, die den skandinavischen Landschaften glichen und die sie inspirierten.
Zwischenmenschliches spielt eine wichtige Rolle
Und dann lachte ihr Gesicht schon wieder: «Singen macht glücklich», erklärte sie überzeugt. Heute sei wissenschaftlich erwiesen, dass beim Singen Glückshormone freigesetzt würden. Darum sei Singen auch eine Art von Therapie. In schwierigen Lebenssituationen sei es manchmal besser, zu singen, statt zu reden. «Für mich spielt das Zwischenmenschliche in der Musik eine sehr wichtige Rolle», meinte Räss bei dieser Gelegenheit und kam auf ihre Tätigkeit als Leiterin des Einsiedler «Waldstatt-Echos» zu sprechen. «Am Donnerstagabend gehe ich mit guten Freunden singen», beschrieb sie ihre Beziehung zum Jodelchor, in dem sie selber mitsingt. Zum Schluss demonstrierte sie noch einmal eindrücklich, wie leicht sie mit ihrer Begeisterung ihre Umgebung anstecken kann. Zuerst improvisierte sie im Duett mit Walter Kälin eine Arie aus einer italienischen Oper, und da-nach verwandelte sie den gefüllten Fram-Saal kurzerhand in einen harmonisch brummenden Begleitchor für ein kurzes Jodel-Solo. Applaus, Applaus!
Einsiedler Anzeiger / Eugen von Arb
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Einsiedler Anzeiger
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