Hat zwölf Jahre an seinem Hauptwerk «Splendor» gearbeitet: Stiftsorganist Pater Theo Flury.
Hat zwölf Jahre an seinem Hauptwerk «Splendor» gearbeitet: Stiftsorganist Pater Theo Flury.

Musik

Summa Theodori: Uraufführung des Oratoriums «Splendor» von Pater Theo

Ein grosses Werk gelangt am 18. Juni in der Klosterkirche zur Aufführung: Das dritte Oratorium des Einsiedler Stiftsorganisten Pater Theo Flury.

Am Samstag, 18. Juni, kommt am Abend um 18.30 Uhr in der Einsiedler Klosterkirche das dritte Oratorium des Einsiedler Stiftsorganisten Pater Theo Flury (*1955) zur Uraufführung. Es trägt den lateinischen Titel «Splendor», was mit Herrlichkeit, Glanz oder Ausstrahlung übersetzt werden kann. Thema ist die christliche Heilsgeschichte, die in die Welt hinein leuchtet und zur ewigen Seligkeit hinzielt.

Von der Genesis bis hin zur Apokalypse


Das Libretto hat sich der Komponist selber zusammengestellt. Hauptquelle für die meis-ten Texte sind die Bibel von der Genesis bis hin zur Apokalypse und die katholische Liturgie mit ihren Hymnen und Gebeten. Diese Textebene verwendet ausschliesslich die herkömmliche Sprache der katholischen Liturgie, das Latein. Zu diesen biblischen und liturgischen Texten kommen vier deutsche «Hymnen an die Kirche» aus dem Jahre 1924 von Gertrud von Le Fort (1876–1971), einer der bedeutendsten katholischen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Doch damit noch nicht genug an sprachlicher und inhaltlicher Vielfalt im Libretto. Pater Theo baut in sein neues Oratorium noch zwei persönliche Texte des berühmten französischen Jesuiten und Philosophen Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955) ein. Das sind die verbalen Vorlagen, welche der Komponist teils gesungen, teils gesprochen in ein abendfüllendes Oratorium von total 2891 Takten einbaut. Die Aufführung wird mindestens zweieinhalb Stunden dauern. Das kommt betreffend Länge einer Wagner-Oper nahe. Leider ist keine Pause möglich. Nicht nur die Ausführenden, sondern auch die Zuhörenden werden massiv gefordert werden! Wer sich unter Oratorium ein Werk wie das Weihnachtsoratorium oder die Passionen von Bach vorstellt und etwas Ähnliches erwartet, wird enttäuscht. Es ist kein Oratorium im klassischen Sinn.

Eine Sinfonie mit Solisten und Chören


Man könnte fast ebenso gut auch von einer Sinfonie mit Solisten und Chören sprechen (Mysterium-salutis-Sinfonie); ich denke etwa an Beethovens Neunte oder Bernsteins dritte Sinfonie. Oder gar an ein liturgisches Sakramentsspiel. Ich habe die rein instrumentalen Takte zusammengezählt. Es sind 1280 Takte oder 44 Prozent der ganzen Komposition. Es ist bekannt, dass der Komponist ein phantastischer Orgelimprovisator von europäischer Ausstrahlung ist. So erstaunt es natürlich nicht, dass auch die Orgel teils solistisch, teils zusammen mit dem Orchester im Oratorium beteiligt ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Einsiedler Mauritiusorgel in gezielt vorbereiteten Fortissimo-Partien des gesamten Ensembles mit ihrem strahlenden Klang (auch hier «Splendor»!) dem Ganzen die Krone aufsetzen wird, ganz ihrem Ehrentitel «Königin der Instrumente » entsprechend.

Riesengrosse Partitur


Doch nun zum Aufbau dieser riesengrossen, 286 Seiten starken Partitur. Wie Monteverdis Orfeo, die älteste heute noch gespielte Oper, beginnt auch Pater Theos neues Oratorium mit einem Prolog für Alt-Solo und Orchester. Darin vertont der Komponist das Gebet der Seele an Gott, das Gertrud von Le Fort ihren «Hymnen an die Kirche» vorangestellt hat. Der erste Satz lautet: «Herr, es liegt ein Traum von dir in meiner Seele, aber ich kann nicht zu dir kommen, denn alle meine Tore sind verriegelt.» Die Seele äussert ihr Verlangen nach Gott und beklagt gleichzeitig die Unmöglichkeit, aus eigener Kraft zu ihm zu gelangen. Gott muss die Tore entriegeln. Kein Präludium, kein Eröffnungschor, nichts. Die Solistin beginnt im allerersten Takt. Von den 109 Takten sind 57 rein instrumental. Wortausdeutung. Tonmalerei. Programmmusik. Pater Theo ist vom ersten Takt an im Element. Er überlässt die musikalische Ausdeutung zwar noch ganz dem Orchester und bringt sich an der Orgel im ganzen Prolog nur mit einem einzigen Akkord ins Spiel. «Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an» gilt schon im Prolog und wird alles weitere Geschehen prägen.

Wie ein Flügelaltar


Den Hauptteil der Komposition gliedert der Komponist in drei Teile oder drei Akte, welche musikalisch in zehn Nummern unterteilt sind. Ich stelle mir ein Triptychon, ein dreiteiliges Gemälde oder gar einen Flügelaltar vor. Der linke Flügel ist überschrieben mit dem lateinischen Titel «Ad te» («Auf dich hin») und enthält die Abschnitte «Geheimnis des Glaubens» und «Geheimnis des Leibes Christi». Pater Theo verwendet durchgehend lateinische Überschriften. Der besseren Verständlichkeit wegen nenne ich im Folgenden jeweils die deutsche Übersetzung. Das Hauptgemälde in der Mitte ist betitelt mit «Ein Blick in die Heilsgeschichte». Es enthält sechs verschiedene Szenen («Anrufung des Heiligen Geistes – Von der Schöpfung, der Sünde und dem Tod – Von der Menschwerdung – Vom Reich Gottes – Vom Leiden des Herrn – Von der Auferstehung»). Der rechte Flügel schliesslich beschreibt «Die allumfassende Versöhnung in Christus» mit den zwei Unterabteilungen «Alles wird neu» und «Von der Herrlichkeit des ewigen Lebens». Eine Überfülle von recht abstrakt klingenden Themen. Schauen wir genauer hin, dann wird es konkreter.

Religiöse Atmosphäre


Nach dem Prolog, dessen Musiksprache mich teilweise an Debussy erinnert, stehen wir unvermittelt mittendrin im heiligsten Moment der katholischen Liturgie, bei der Wandlung im Zentrum der Eucharistiefeier. Nach wenigen einstimmigen Takten der Celli und Bässe verbreitet die Orgel eine religiöse Atmosphäre. Es folgt der von einer Schola einstimmig gesungene Ruf «Geheimnis des Glaubens! Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit! » Dann kommt es bereits zu einem ersten Höhepunkt, wenn das Solistenquartett, ein achtstimmiger Chor und das ganze Orchester einstimmen in das «Seele Christi, heilige mich», in ein von der Passionsfrömmigkeit des Spätmittelalters geprägtes Gebet zur Verehrung des im verwandelten Brot und Wein anwesenden Christus. Der Angesprochene meldet sich selbst zu Wort mit berühmten Sätzen aus der Apokalypse («Siehe, ich komme bald»), worauf der Chor mit dem uralten Ruf «Komm, Herr Jesus, Maranatha» antwortet. Fast nahtlos geht es in die Nummer 2, wo Pater Theo den von Thomas von Aquin anlässlich der Einführung des Fronleichnamsfestes 1264 gedichteten und vertonten lateinischen Hymnus «Adoro te devote» grossartig verarbeitet. In diesem Abschnitt gibt es herrliche A-cappella-Partien, die bestimmt unter die Haut gehen werden. Schon wartet die nächste Überraschung. Ein Sprecher auf der Kanzel liest aus einem Erlebnisbericht von Teilhard de Chardin. Er besuchte eine Kirche, in der das Allerheiligste ausgesetzt war und ein Chor ein «Ave verum» sang, und hatte dabei eine Vision. Der Text wird anfänglich in dafür in der Partitur vorgesehene Pausen hinein gesprochen, später melodramatisch mit Musik begleitet. Das vielstimmige «Ave verum» bildet für die Chöre die dritte grosse Herausforderung.

Von der Erschaffung der Welt bis zum Ostermorgen


Zum Mittelbild: Nach der Anrufung des Heiligen Geistes mit dem bekannten Hymnus und einem mächtigen «Tantum ergo» dazwischen im ersten Abschnitt erzählt Pater Theo mit seiner vielfältigen kompositorischen Begabung die Heilsgeschichte von der Erschaffung der Welt bis zum Ostermorgen. Der Sündenfall der Stammeltern Adam und Eva und ihre Vertreibung aus dem Paradies bilden den zweiten Abschnitt. Der Solotenor agiert phasenweise wie der Evangelist in einer Passion. Der Solobassist singt die Worte von Gott Vater. Die Stammeltern und die Schlange kommen zu Wort. Wir befinden uns beinahe mitten in einem geist-lichen Spiel. Neben dem Text aus der Genesis vertont Pater Theo das Danklied Hiskijas aus dem Buch Jesaja. Die textlichen Vorlagen für den Weihnachtsteil bilden Zitate aus dem vierten Kanon sowie aus dem Lukas-Evangelium. Dazu kommen ein Advents-Hymnus von Gertrud von Le Fort, Zitate aus den O-Antiphonen und das Martyrologium aus der Weihnachtsliturgie, das bei uns im Kloster jeweils am Heiligen Abend zu Beginn des Nachtessens im Refektorium vorgelesen wird. Das Responsorium der Lichtmesse («Adorna thalamum tuum») und Zitate aus Jeremia, Psalm 84 und dem Gloria der Liturgie runden den Teil ab. Texte, wie sie die Künstler in der berühmten Weihnachtskuppel der Einsiedler Klosterkirche verewigt haben. Der vierte Teil innerhalb dieses Mittelbildes widmet sich dem Leben Jesu vom ersten Auftritt in Nazareth über die Bergpredigt mit den Seligpreisungen bis zum Verhör vor Pilatus. In gespannter Dramatik kann man miterleben, wie schnell das «Hosanna» vom Palmsonntag ins «Kreuzige ihn» pervertiert. Im anschliessenden Passionsteil mit dem ergreifenden Tod Jesu, dem Kreuzeshymnus und einem Text aus der Messliturgie vor der Kommunion überrascht Pater Theo mit dem vollständigen Zitat des Passionschorals («Wenn ich einmal soll scheiden ») aus der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach, unmittelbar gefolgt von der vierten Hymne der Passion, die Gertrud von Le Fort in Anspielung an die Liturgie vom Hohen Donnerstag geschrieben hat.

Geistliches Spiel in melodramatischer Form


Ostermorgen. Nein, kein Alleluja oder ein Auferstehungschor mit Pauken und Trompeten. Pater Theo lässt über seinen Orgelklängen drei Gruppen der Chöre die Erscheinung Jesu vor Maria aus Magdala aus dem Johannesevangelium sprechend spielen. Ein geistliches Spiel in melodramatischer Form. Erstaunlich, der österliche Teil ist mit seinen 73 Takten der kürzeste des ganzen Oratoriums. Offensichtlich wird der Auferstehungs- und Erlösungsjubel auf den Schluss des Werkes ausgespart. Noch kurz zum rechten Flügel des riesigen Tongemäldes. Ich zitiere aus der kurzen Paraphrasierung der einzelnen Teile durch den Komponisten: «Der Kreis schliesst sich. Erinnerung an den Anfang unserer Reise und Ausblick in die Zukunft: in der Mitte wiederum die sakramentale Gegenwart des geopferten Leibes und des vergossenen Blutes Christi; in ihnen macht Gott alles neu.»

Eben echter Theo, so wie er auf der Orgel improvisiert


Noch ist kein Wort über den Stil der Musik gefallen. Im Oratorium herrscht nicht bloss eine Sprachenvielfalt, sondern auch ein Stilpluralismus. Altklassische Vokalpolyphonie neben deutscher Spätromantik. Ganztonleitern. Aber keine Atonalität, nie! Eben echter Theo, so wie er auf der Orgel improvisiert. Vielleicht müsste man sein neues Oratorium – wie eine Wagner-Oper – auf zwei Abende verteilt aufführen. Das ist leider aus Kostengründen nicht möglich. Pater Theo betrachtet sein Oratorium «Splendor» als sein grosses Lebenswerk. Er hat zwölf Jahre lang daran gearbeitet. Wenn man in Betracht zieht, dass er während der Vorlesungszeit jede zweite Woche in Rom Schüler aus aller Welt unterrichtet, dann zieht man den Hut vor dieser Leistung. Thomas von Aquin nannte sein Hauptwerk die «Summa theologica». In Anlehnung daran habe ich meinen Versuch einer Annäherung «Summa Theodori» genannt. Zum Schluss übergebe ich das Wort gern dem Komponisten: «Mögen die Klänge des Oratoriums überall Freude und Hoffnung wecken!» Diesen Beitrag hat Pater Lukas Helg für die Zeitschrift «Musik und Liturgie» verfasst und freundlicherweise auch dem Einsiedler Anzeiger überlassen. 2891 Takte! Die Aufführung wird mindestens zweieinhalb Stunden dauern. Der achtstimmige Chor – ein erster Höhepunkt. In gespannter Dramatik kann man miterleben, wie schnell das «Hosanna» vom Palmsonntag ins «Kreuzige ihn» pervertiert.

Einsiedler Anzeiger / Pater Lukas Helg

Autor

Einsiedler Anzeiger

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Kategorie

  • Musik

Publiziert am

03.06.2022

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