Film
«Wegen Netflix fehlen nicht die Besucher, sondern die guten Filme»
Seit 15 Jahren betreibt Franz Kälin die Cineboxx in Einsiedeln. Die Besucherzahlen sind seit dem Jahr 2015 um rund 15 Prozent gesunken: Nicht etwa wegen Netflix und Co., sondern wegen der Corona-Pandemie. Es gehe aber wieder aufwärts, meint Kälin.
Silvia Gisler: Ihr Vater ist der in der Region bestens bekannte «Foti Fränzel ». Sind Sie demnach der «Film Fränzel»?
Franz Kälin: Ja, das kann man so sagen. Da ich auch Fotograf gelernt habe und immer noch fotografiere, bin ich bei vielen auch der «Foti Fränzel».
Wie sind Sie von der Fotografie auf die Filmerei gekommen?
Genau genommen habe ich zuerst Filme gemacht und danach mit der Fotografie ergänzt.
Ach, wirklich?
Ja. Unser Vater hatte früher eine Super-8-Kamera, mit der er uns Kinder aufgenommen hat. Diese habe ich mir ab und zu geschnappt, um selber Filme zu drehen. Natürlich habe ich aber auch fotografiert. In der ersten und zweiten Klasse war ich beispielsweise der einzige, der einen Fotoapparat mit auf die Schulreise genommen hat. Und später habe ich die Lehre als Fotograf gemacht, da war es naheliegend, dass ich danach noch die Ausbildung zum Kameramann machte.
Was war dann der erste Film, den Sie im Kino gesehen haben? Und wie alt waren Sie da?
Das war «Bambi», ein Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1942, den ich zirka im Jahr 1969 im Kino gesehen habe. Damals war ich acht Jahre alt.
Wann hat Sie das Filmfieber so richtig gepackt?
Ich war immer vom Filmfieber gepackt. Schon in der Sekundarstufe habe ich Dokumentarfilme gedreht. Meine erste eigene Kamera habe ich in der Lehre gekauft. Während der Abschlussprüfungen habe ich nebenbei noch meinen ersten Langfilm gedreht. Im Jahr 1982 habe ich diesen Film «Warum gerade ich?» im Kino Etzel gezeigt. Damals standen 800 Personen für 400 Stühle an. In der Folge musste ich das Kino einen zweiten Abend mieten. Zwei Jahre später, also mit 23 Jahren, habe ich bereits meinen zweiten Film gemacht. Dieser kam dann schon viel professioneller daher.
Im Januar 2008 – also vor exakt 15 Jahren – eröffneten Sie die Cineboxx in Einsiedeln. Sie sagen selbst, Sie hätten die goldenen Kinojahre eigentlich verpasst. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil für Sie?
Ich sehe das ganz klar als Vorteil. Was man nicht kennt, vermisst man nicht. Ich musste Ideen haben, wie man die Leute für das Kino begeistern kann. Ich habe vielleicht eher das Gespür für das Publikum, das man als Filmemacher mit sich bringt, als wenn ich Kaufmann wäre.
Die Cineboxx lief schnell gut an. Bereits im Jahr 2011 – also drei Jahre später – eröffneten Sie den zweiten Saal. Auch 3D-Filme wurden gezeigt. Diese scheinen aber fast gänzlich verschwunden zu sein.
Die Nachfrage nach 3D-Filmen war bei uns nicht sehr gross. Ausser bei «Avatar» zum Beispiel. Das ist wohl die Macht der Gewohnheit, dass man lieber 2D-Filme schaut. Leider gibt es nicht mehr viele echte 3D-Filme, weil sie in der Produktion aufwendiger und teurer sind. Die meisten 3D-Filme werden heute aus normalen 2D-Filmen konvertiert, was aber kein echtes 3D ist und daher schlechter funktioniert. Solche «falschen» 3D-Filme möchte ich bei uns nicht zeigen. Im Allgemeinen war ich von 3D nie wirklich begeistert.
Wie oft hat sich denn seit der Eröffnung der Cineboxx die ganze Technik verändert?
Im alten Kino Etzel habe ich noch Filmrollen gewechselt. In der Cineboxx wurden bis im Jahr 2010 sämtliche Filme analog gezeigt – auf 35-mm-Film. Danach folgte die Digitalisierung.
Welche Investitionen planen Sie bei der Cineboxx?
Vor Jahren hatte ich mal die Idee für einen dritten Saal. Ich kam dann zum Schluss, dass ich lieber zwei gute als drei schlechte Säle habe – also lieber klein und fein. Dementsprechend haben wir in den Corona-Jahren sämtliche Kinostühle frisch gepolstert und vor Kurzem einige Teppiche ersetzt.
Im Zeitalter von Netflix und Co. wird das Kinogeschäft eher schwieriger. Oder täuscht dieser Eindruck?
Unser Business wird schon schwieriger. Das ist aber nicht nur auf Streamingplattformen zurückzuführen. Es gibt heute im Allgemeinen viel mehr Möglichkeiten, die Freizeit zu gestalten. Aber schon früher prophezeite man den Untergang des Kinos alle paar Jahre wieder. Kinofilmfans werden aber immer ins Kino wollen. Das Problem ist eher, dass viele Schauspieler und Regisseure nicht mehr für Kinofilme, sondern für die Streamingdienste arbeiten und somit gute Filme fehlen. Aber auch das wird sich wieder einmal ändern. Früher gab es ein breiteres Mittelfeld an guten Kinofilmen. Heute ist dieses Mittelfeld ausgedünnt.
Zeigt sich dies auch bei den Besucherzahlen?
Im Vergleich zu vor dreissig Jahren gibt es heute in der Schweiz nicht nur viel mehr Kinosäle, sondern auch viel mehr Einwohner. Nur konnten wir dieses Bevölkerungswachstum nicht in ein Besucherwachstum umwandeln. Während wir im Jahr 2015 fast 63’000 Eintritte verkauften, waren es im Corona-Jahr 2021 um die 30’000. Letztes Jahr waren es um die 50’000 Eintritte – also immer noch 15 Prozent weniger als vor der Corona-Pandemie. Seit Corona ist es auch eher einmal vorgekommen, dass wir einen Film nur für eine Handvoll Besucher zeigen mussten.
Was können Sie dagegen tun?
Das Wichtigste ist, dass wir den Kunden Sorge tragen, indem wir unseren Job gut machen. Aber natürlich sind auch äussere Umstände wie Wetter, Filmveröffentlichungen et cetera entscheidend, ob es ein gutes Kinojahr wird oder nicht.
Sie sagten im Vorgespräch, dass die Hälfte der Menschen noch nie in einem Kino sass. Entweder sei man Kinogänger oder eben nicht.
Ja, das ist fast auf der ganzen Welt so. Deshalb müssen wir mit den Besuchern arbeiten, die wir haben. Ich habe beispielsweise im letzten Jahr erstmals seit 15 Jahren den Eintrittspreis für ein Einzelticket um einen Franken erhöht. Die übertragbaren Zehner-Abos sind seit der Eröffnung gleich geblieben.
Wie versuchen Sie denn, Nicht-Kinogänger trotzdem anzulocken?
Wir wollen nicht diejenigen überzeugen, die nicht kommen wollen. Wir wollen es für die Kinogänger gut machen, die kommen. Als ich noch Kind war, durfte ich am 24. Dezember nachmittags jeweils ins Kino, damit meine Mutter zu Hause den Baum schmücken konnte. Soweit ich mich erinnern mag, herrschte jeweils Grossandrang.
Ist der Kinderfilm an Weihnachten immer noch gefragt?
Ja. Wir haben auch am vergangenen 24. Dezember, um 11 und 13.30 Uhr, einen Film gezeigt. Das ist immer noch sehr gefragt. Da wir das ganze Jahr Kinderfilme anbieten, wird es an Weihnachten aber nicht mehr rappelvoll wie zu Kino-Etzel-Zeiten. Auch war der erste abendliche Ausgang ein Kinobesuch mit Freunden.
Ist das Kino immer noch eine Art Einstieg ins Nachtleben?
Ja, das ist immer noch so. Wir sehen auch immer wieder Pärchen, die noch nicht so lange zusammen sind und erstmals einen Doppelsitz buchen. Am Mittwoch gibt es viele Kinder, die alleine kommen. Das gab es vor dreissig Jahren nicht.
Apropos Pärchen und Kinder: Wer sind die häufigsten Kinobesucher?
Im Gegensatz zu anderen Orten haben wir tendenziell recht viele junge Besucher. Insgesamt sind Frauen die besseren Kinogänger als Männer. Deshalb würde auch ein männliches Pendant zum Frauenkino nicht so gut funktionieren. Aber wenn es Besucher gibt, die alleine kommen, dann eher Männer.
Welche Filmgenres sind am beliebtesten in der Cineboxx?
Früher spielte es weniger eine Rolle, welche Filme wir zeigten, die Bude war voll. Heute kann man nicht mehr so einfach sagen, welche Genres sicher funktionieren. Es ist einfacher zu sagen, was bei uns nicht läuft.
Und das sind?
Filme mit schwarzem Humor. Der wird bei uns auf dem Land weniger geschätzt. Ein Beispiel dafür ist der sarkastische Samichlaus-Film «Violent Night» oder auch «Bullet Train» mit Brad Pitt. Da gab es Leute, die vor Filmende das Kino verliessen.
Wovon hängt es denn ab, ob Besucher kommen oder nicht, wenn es nicht die Genres sind?
Den letzten «Spiderman» haben sich viele Junge aufgrund des Hauptdarstellers Tom Holland angesehen. Auch «Smile» ist unerwartet gut gelaufen, da der Film auf Tiktok die Runde mach-te. Normalerweise spielen aber Schauspieler heute weniger eine Rolle, ob der Film läuft.
Aber es gibt sie noch, die so genannten Garanten für gute Besucherzahlen?
Ja, die gibt es. James Bond ist sicher einer davon. Es gibt auch Leute, die jeweils nur die James-Bond-Filme im Kino schauen.
Schauen Sie sich jeden Film selber an, bevor Sie ihn im Kino zeigen?
Nein. Vielfach geht es aus zeitlichen Gründen nicht. Meist vermittelt mir der Trailer ein Gefühl für den Film, und zusammen mit der Kenntnis des Filmstudios kann ich das Potenzial des Filmes danach schon ziemlich gut einschätzen.
Wie viel bezahlen Sie dafür, einen Film wie «James Bond» oder «Fast & Furious» im Kino zu zeigen?
Also bevor man überhaupt einen Film zeigen darf, muss man die Lizenz zum Betreiben eines Kinos haben. Die Kosten des Films werden prozentual pro Eintritt verrechnet. Bei Filmstart ist der Prozentsatz höher. Nach sieben bis acht Wochen Spielzeit werden die Kosten für die Filme geringer.
Wenn Sie aussuchen könnten: Würden Sie solche Blockbuster überhaupt zeigen wollen?
Ich habe ein Kino gebaut, um den Besuchern ein Erlebnis zu bieten. Das macht mir auch Spass. Da spielt meine Vorliebe für Filme eine untergeordnete Rolle. Aber es gibt durchaus Filme, die ich nicht zeige, weil ich die Nachfrage tief einschätze und wir aus Platzgründen von den 500 Filmen, die jährlich in die Schweizer Kinos kommen, nur rund 130 zeigen können. Natürlich brauchen wir genügend Eintritte, damit es rentiert.
Und zum Schluss: Weshalb wird das Kino nie aussterben?
Ich weiss nicht, ob das Kino nie aussterben wird. Es wurde schon x-mal totgesagt, aber das Kino lebt trotzdem immer noch.
Einsiedler Anzeiger / Silvia Gisler
Autor
Einsiedler Anzeiger
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Kategorie
- Film
Publiziert am
13.01.2023
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