Regisseur Oscar Sales Bingisser hat am Stiftstheater 22 Produktionen inszeniert. Die Plakat-Collage ist ein Geschenk von Lichttechniker Veit Kälin. Foto: Gina Graber
Regisseur Oscar Sales Bingisser hat am Stiftstheater 22 Produktionen inszeniert. Die Plakat-Collage ist ein Geschenk von Lichttechniker Veit Kälin. Foto: Gina Graber
Die Proben waren zeitintensiv, aber es gab auch immer viel zu lachen. Foto: zvg
Die Proben waren zeitintensiv, aber es gab auch immer viel zu lachen. Foto: zvg

Bühne

«Es ist das Tollste, mit Jugendlichen zu arbeiten»

Das grosse Interview mit Oscar Sales Bingisser zu seinem Abschied vom Stiftstheater.

Oscar Sales Bingisser hat als Regisseur seit der Spielzeit 2001/02 zweiundzwanzig Stiftstheater- Produktionen inszeniert. Die Karl-Valentin-Collage «Das Leben ist wie eine Lawine – einmal rauf und einmal runter» bildete im März den Abschluss seiner langjährigen Regiearbeit an der Stiftsschule.

Gina Graber: Oscar Sales Bingisser, wie sind Sie Regisseur des Stiftstheaters geworden?


Oscar Sales Bingisser: Ich bin 2001 selbst auf Pater Lorenz Moser zugegangen und habe mein Interesse bekundet. Er war sehr froh, jemanden gefunden zu haben, weil das Theater an der Stiftsschule damals ein wenig eingeschlafen war. Die Schülerinnen und Schüler hatten in der Not zuletzt anscheinend beinahe das ganze Stück selbst inszeniert. Die Aufführung soll vier Stunden gedauert haben und ein Grossteil des Publikums verliess gemäss eines Schülers in der Pause den Theatersaal. Ich hatte damals auch viel Glück, denn es ist einfacher, etwas zu übernehmen, das man von Grund auf neu gestalten kann, als wenn man in grosse Fussstapfen treten muss. Ich konnte es nur besser machen.

Welches war Ihr erstes Stiftstheaterstück?


Das war «Andorra» von Max Frisch. Es war gleich ein grosser Erfolg. Der Hauptdarsteller von damals hat übrigens die diesjährige Karl-Valentin-Produktion besucht, was mich sehr gefreut hat.

Wie war die Zusammenarbeit mit dem Kloster?


Sehr angenehm, die zuständigen Patres liessen mir freie Hand. Sie waren froh, wenn es lief, ohne dass sie sich einmischen mussten, und besuchten immer gerne die Premiere (schmunzelt).

Welches sind die Herausforderungen in der Theaterarbeit mit Jugendlichen?


Theater ist Theater, ich mache keinen Unterschied zwischen Schul-, Laien- oder professionellem Theater. Man muss jugendliche wie professionelle Darstellende motivieren und überzeugen können, das ist die wichtigste Aufgabe des Regisseurs. Die Jugendlichen, die beim Stiftstheater teilnehmen, sind sowieso theaterbegeistert und wollen spielen. Überhaupt ist es das Tollste, mit jungen Menschen zu arbeiten. Sie blühen im Spiel auf und sind mit vollem Herzen dabei, das ist einmalig. Mit Profis erlebt man dies eher weniger in diesem wunderbaren Ausmass. Zudem liegt mir das Ensemble immer sehr am Herzen. Die erfahrenen Sechstklässler sollten die Zweitklässler als vollwertige Mitspielende in die Gruppe aufnehmen, Theaterarbeit funktioniert nur im Team.

Sind Sie anderweitig als Theaterlehrer engagiert?


Ich gebe an der StageArt Musical & Theatre School SAMTS GmbH in Adliswil Schauspieltechnik, Rollenstudium und Auditiontraining.

Hat sich Ihre Arbeit in all den Jahren gewandelt? Gehen Sie anders an ein Stück heran als früher?


Eigentlich nicht gross. Ich schaue heute intensiver darauf, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler den Text möglichst schnell lernen. Ich mache Theater nach «alter Schule», wie ich es selber an der Schauspielschule und am Theater von erfahrenen Regisseuren und Schauspielerinnen gelernt habe, daran hat sich wenig verändert. Natürlich wird man gelassener und weiss mit der Zeit, dass bis etwa vier, fünf Tage vor der Premiere noch nichts bis ins letzte Detail funktioniert. Du musst einfach von Anfang an alles gut vorbereiten, dann kommt das Stück irgendwann in Fahrt. Es hat noch immer geklappt, auch wenn es Inszenierungen gab, bei welchen einige Dinge erst auf die Premiere fertig geworden sind.

Haben Sie immer genug Jugendliche gefunden, die mitmachen wollten?


Ja, immer. Es gab bei mir auch nie ein Casting. Wenn es mehr Spielende als Rollen gab, habe ich einfach welche dazu erfunden. Das ist das A und O des Stiftstheaters, dass alle mitmachen konnten, die wollten. Die Rollen habe ich jeweils eher instinktiv zugeteilt.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Stücke ausgewählt?


Das war immer der allerschwierigste Punkt. Ein Stück muss zu den jugendlichen Spielerinnen und Spielern passen und spielbar sein, zudem muss es die Schülerinnen und Schüler wie auch ein älteres Publikum ansprechen. Der Zuschauermix ist ja am Stiftstheater ziemlich ausgeprägt. Dazu kommt dann auch noch ein gewisser «Bildungsauftrag». Kurz: Das Stück muss ein breites, vielschichtiges Publikum ansprechen. Die Wahl des Stückes liess mich jedes Jahr verzweifeln. Manchmal brauchte ich zwei bis drei Monate, bis ich mich entscheiden konnte. Die Jugendlichen investieren viel Freizeit in eine Aufführung.

Ist Schultheater in Zeiten von TikTok, Netflix und Co. überhaupt noch zeitgemäss?


Es braucht Theater! Ob Schultheater oder professionelles Theater kommt gar nicht drauf an. Wenn es einem als Regisseur gelingt, mit dem Ensemble ein Team zu bilden und sowohl den Schauspielenden wie dem Publikum ein einmaliges Erlebnis zu bieten, erfüllt das Theater immer eine grosse Aufgabe. Ich bin ja nicht «nur» Regisseur, ich habe als Schauspieler selbst erfahren, wie man eine Rolle lernt und lebt, habe oft auch geschwitzt und gelitten. Mit der Theaterarbeit vermittelt man den Jugendlichen unter anderem auch Auftrittskompetenz, Sprech- und Atemtraining. Das sind Fähigkeiten, die sie selbstbewusster machen und ihnen im täglichen Leben nützen können. Wenn ich sehe, mit welcher Spielfreude die jungen Darstellerinnen und Darsteller auf der Bühne agieren, habe ich keine Angst um die Zukunft des Theaters.

So gesehen haben Sie mit Ihrer Arbeit ein grosses Verdienst fürs Theater geleistet.


Das möchte ich auf keinen Fall für mich allein in Anspruch nehmen. Das Wichtigste und grösste Glück für mich war das Team. Kostümbildnerin Patricia Schönbächler, Lichttechniker Veit Kälin, Maskenbildnerin Isabell Trütsch und Bühnenbildner Fredi Trütsch haben mich all die Jahre mit ihrer engagierten Arbeit und ihren verrückten Ideen unterstützt und begleitet. Ohne sie wäre das alles nicht möglich gewesen, das war schon Rock’n’Roll mit diesem Team.

Erinnern Sie sich an besonders denkwürdige Begebenheiten während der Proben?


Ich hatte den Ruf, streng zu sein, und warnte meine Schülerinnen und Schüler jeweils: «Wenn ich gar nichts mehr zu eurem Spiel sage, dann wars furchtbar.» So kamen eines Tages drei Schülerinnen in Tränen aufgelöst zu mir und fragten mich, ob ihr Spiel wirklich so schlecht gewesen sei. Ich hätte nämlich seit drei Wochen nichts Negatives mehr dazu gesagt. Ich war amüsiert und erleichtert zugleich. Natürlich hatten die drei jungen Damen alles richtig gemacht, es gab einfach nichts zu kommentieren und schon gar nichts auszusetzen. Ein anderes Mal hatte Fredi Trütsch eine Drehbühne konstruiert, bei der er zehn Minuten vor Premierenstart eine defekte Rolle auswechseln musste. Das war schon ein dramatischer Moment, alle waren nervös und die Aufführung begann schliesslich mit einigen Minuten Verspätung. Die Spuren der Rollen sieht man heute noch auf dem Bühnenboden.

Sie erhalten ab kommendem Herbst die AHV, werden Sie in Zukunft kürzertreten?


(Lacht) Nein, auf keinen Fall! Im Moment wirke ich in zwei Opernprojekten mit Werken von Richard Wagner und Jacques Offenbach mit, je in einer Sprechrolle. Ich habe zudem ein eigenes Projekt in Arbeit, das aber noch nicht spruchreif ist. 

Einsiedler Anzeiger / Gina Graber

Autor

Einsiedler Anzeiger

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  • Bühne

Publiziert am

21.04.2023

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