Thomas Hürlimann (links) in der Diskussion mit Reto Wehrli, OK-Präsident der Inglin-Tage. Bild: Silvia Camenz
Thomas Hürlimann (links) in der Diskussion mit Reto Wehrli, OK-Präsident der Inglin-Tage. Bild: Silvia Camenz

Literatur

Hürlimann findet die Luft in «Die Welt in Ingoldau» zum Ersticken

Zum Auftakt des intensiven Literaturwochenendes zu Meinrad Inglin war am Donnerstag Thomas Hürlimann in Schwyz zu Gast.

Der Auftakt zum Inglin-Schwerpunktwochenende startete am Donnerstag im «Wyssen Rössli» in Schwyz grandios. Das war Schriftsteller Thomas Hürlimann zu verdanken. Er beförderte in seinem Referat «Prosa im Bergschritt. Über Meinrad Inglin» das Erstlingswerk Inglins «Die Welt in Ingoldau» ins Grab. Das heisst: Er zerriss es wortgewaltig und nachvollziehbar. Thomas Hürlimann begann mit dem Jahr 1918, als Meinrad Inglin in Offiziersuniform eine Dada-Veranstaltung im Cabaret Voltaire im Zürcher Niederdorf besuchte. Das habe den jungen Inglin verstört. Er habe damals entschieden, er wolle ein dem Realismus verpflichteter Schriftsteller sein und nach Schwyz zurückkehren. Hürlimann fand, dass im Titel des Romans ein Echo auf Inglins Besuch im Cabaret Voltaire anklinge. «Vier Worte und zweimal IN: IN INgoldau.» Da habe Inglin die Dadaisten für die Doppelsilbe nachgeahmt. «Mehr IN IN geht nicht. Da will einer ganz nach innen, in den Schoss der Familie, zum Tanti, in den Grund und dort sein Ingoldau erschaffen, das für ihn die Welt ist.» Hürlimann rezitierte, und man hörte es, das «I» dominierte schrill. Hürlimann bezeichnete es als Schreckenslaut. Und doch lobte er den Beginn des Buches als grandios. Es beginnt damit, dass Pfarrer Bolfing, in seinem Fett eingeklemmt, im Beichtstuhl erstickt. Doch dann habe Inglin aus der Idee des Beichtstuhls nicht mehr hinausgefunden. Der Schriftsteller bezeichnete die Luft im Buch als zum Ersticken dick.

Träger Erzählfluss, zu viele Substantive


Zum Verständnis fürs Publikum verglich er Inglins Erstling mit Gottfried Kellers «Der grüne Heinrich». Keller lasse den Text sprudeln und fliessen. Bei Inglin sei der Erzählfluss träge, es schleiche sich der Pestalozzi-Ton ein. Kurz: Inglin gebrauchte zu viele Substantive. Schwerfällig sei auch der «Schweizerspiegel». Doch auch wenn Thomas Hürlimann die dicken Romane von Meinrad Inglin wortgewaltig zerriss, er lobte den Schwyzer Schriftsteller auch. Die Erzählung «Die Furggel» sei ein grosser Roman, ebenso «Wanderer auf dem Heimweg». Seine IN-IN-Analyse sei ein Nachruf, erklärte Thomas Hürlimann den rund 70 Anwesenden . In der darauffolgenden Diskussion mit Reto Wehrli vom OK der Meinrad-Inglin-Tage sagte Hürlimann, er habe sich beim Wiederlesen durchkämpfen müssen, weil Inglin sprachlich stecken bleibe. «Diese Schwerfälligkeit macht mir Mühe.» Man könne «Die Welt in Ingoldau» auch hundert Jahre nach dem Erscheinen noch lesen. Wer liest, habe das Recht, Seiten zu überblättern, das gehöre dazu. Es ist nicht ganz einfach mit Erstlingen. Thomas Hürlimann gab selber zu, dass seine «Tessinerin» inzwischen Staub angesetzt habe. Eines ist klar: Hürlimanns Auftaktreferat ins Schwerpunktwochenende zu Inglin war ein Ereignis. Man darf gespannt sein, ob es mit den Veranstaltungen bis Sonntag so hochkarätig weitergeht.

Bote der Urschweiz / Silvia Camenzind

Autor

Bote der Urschweiz

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Kategorie

  • Literatur

Publiziert am

23.09.2022

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