Szenenfoto aus der Uraufführungsproduktion der Oper «Samson» von Joachim Raff im Deutschen Nationaltheater in Weimar vor einem Jahr unter der Regie von Calixto Bieito und unter der musikalischen Leitung von Dominik Beykirch. Bild Candy Welz
Szenenfoto aus der Uraufführungsproduktion der Oper «Samson» von Joachim Raff im Deutschen Nationaltheater in Weimar vor einem Jahr unter der Regie von Calixto Bieito und unter der musikalischen Leitung von Dominik Beykirch. Bild Candy Welz
Porträt von Joachim Raff aus dem Jahr 1882, von Heinrich Georg Michaelis aus dem Historischen Museum Frankfurt. Bild Carlo Stuppia
Porträt von Joachim Raff aus dem Jahr 1882, von Heinrich Georg Michaelis aus dem Historischen Museum Frankfurt. Bild Carlo Stuppia

Musik

Raffs Musikdrama kam zur Schweizer Erstaufführung

Die Schwyzer Musikerin Graziella Contratto hat sich mit ihrem Label «Schweizer Fonogramm» für dieses aussergewöhnliche Ereignis vom vergangenen Freitag in Bern eingesetzt.

Joachim Raff, geboren am 27. Mai 1822 in Lachen, war Komponist und Musikpädagoge. Er verstarb 1882 in Frankfurt am Main. Es ist der Joachim-Raff-Gesellschaft in Lachen zu verdanken, dass Raffs Werke der Nach-welt erhalten bleiben. Seit 50 Jahren verfolgt sie das Ziel, Werke und Person wieder ins Bewusstsein des schweizerischen und internationalen Kulturschaffens zu bringen. Anlässlich des 200. Geburtstags im letzten Jahr fand ein umfangreiches Programm statt, unter anderem wurde im September im Deutschen Nationaltheater in Weimar die Oper «Samson» von Joachim Raff uraufgeführt. Ein Jahr später und 170 Jahre nach der Entstehung kam es am vergangenen Freitag zur Schweizer Erstaufführung des Musikdramas «Samson» im Stadttheater Bern. Mit der Erstaufführung erweckte das Berner Symphonieorchester unter der musikalischen Leitung von Philippe Bach das Werk zum Leben. Die fünfaktige Oper mit ihren sechs Hauptrollen, einem gewichtigen Chorpart und grosser Orchesterbesetzung inklusive Bühnenmusik gilt als Sensation der Schweizer Musikgeschichte, wurde aber zu Raffs Lebzeiten nicht uraufgeführt. Nun gab es die einmalige Gelegenheit, das Werk auf der Bühne des Stadttheaters konzertant zu erleben.

Etwas, was Graziella Contratto persönlich ärgerte 

Dass es dazu kommt, ist vor allem der Schwyzer Musikerin, Dirigentin, Musikpädagogin und Innerschweizer Kulturpreisträgerin Graziella Contratto zu verdanken. Sie ist mit der Joachim-Raff-Gesellschaft verbunden und hat verschiedene Orchesterwerke des Lachner Komponisten selber dirigiert. Sie hat mit der Zeit immer mehr Infor-mationen zu Raff gesammelt: Er ging im Kollegi Schwyz zur Schule, war mit Liszt und Wagner bekannt und hat ein Musikdrama namens «Samson» komponiert. «Die Tatsache, dass dieses unglaubliche Werk noch nie in Raffs Heimatland zur Aufführung gekommen war, hat mich persönlich geärgert, weil wir in der Schweizer Musikgeschichte wahrlich nicht verwöhnt sind mit originellen Opernkompositionen des 19. Jahrhunderts», erklärt Graziella Contratto. Aus einer Mischung aus Idealismus, Schwyzer Kulturpatriotismus und künstlerischer Neigung machten sie und ihr Mann Frédéric Angleraux sich auf die Suche nach einer Institution, um mit dem gemeinsamen Label «Schweizer Fonogramm» eine Weltersteinspielung zu organisieren. Bei den Bühnen Bern sind sie fündig geworden. Dieser Tage fanden die Aufnahmen statt. Der Release ist auf Weihnachten geplant. Graziella Contratto schwärmt: «Es ist ein grandioses Werk, sehr eigenständig, trotz kleiner Einflüsse von Wagner oder der Grand Opéra aus Frankreich, die um 1850 herum erfolgreich war.» Und weiter: «Raff beherrscht die Instrumentation meisterhaft, er wechselt ab zwischen Chor, Massenszenen und intimen Beziehungsdramen auf kleinem Raum. Die politischen Szenen enthalten auch noch Bühnenmusik, die Chöre wechseln ab zwischen Einheitsgesang und Aufruhr – es ist wie ein Filmszenario ohne Kameras und Special Effects, weil alles im Klang und in den Stimmen transportiert wird.»

 

«Das ist das Sahnehäubchen obendrauf»

Glücklich ist auch Res Marty aus Lachen, Ehrenpräsident der Joachim-Raff-Stiftung: «Nach nun 51 Jahren Raff-Förderung löst das, was letztes Jahr und nun auch dieses Jahr in der Klassik-Musik-Szene in Sachen Raff abläuft, ein grosses Glücksgefühl, eine riesige Genugtuung und so etwas wie ein eintretendes Gefühl von Gerechtigkeit bei mir aus.» Laut Marty gehört Raff zu den ganz grossen Meistern seines Fachs. «Es war unerklärlich, warum Raff beinahe ein ganzes Jahrhundert vergessen wurde. Er gehörte zu den meistgespielten Komponisten des späten neunzehnten Jahrhunderts.» Das Musikdrama «Samson» war der Gesellschaft seit 50 Jahren bekannt. Es sei immer ein Wunsch gewesen, dieses musikhistorisch wichtige Werk einmal auf die Bühne zu bringen. Res Marty erklärt weiter: «Dass es nun innerhalb nur eines Jahres gleich an zwei Orten – in Weimar, wo das Werk entstanden ist, und in der Schweiz, wo Raff geboren wurde und aufwuchs – zweimal produziert wird, übersteigt die kühnsten Erwartungen. Dass dies sogar in Bern noch durch eine bedeutende Musikerin aus dem Kanton Schwyz geschah, ist das Sahnehäubchen obendrauf.» Graziella Contratto spricht auch das Fundraising an: «Dank einem substanziellen Beitrag des Lotteriefonds des Kantons Schwyz konnte ich das Projekt überhaupt konkret angehen und während der letzten zwei Jahre mit zahlreichen Stiftungen letztendlich eine gute Finanzierung vorantreiben.» Zahlreiche Stiftungen aus dem Kanton Schwyz unterstützen das Projekt.

 

Verschiedene Spielformen der Liebe

Warum aber soll man sich heute noch eine alttestamentarische Geschichte anhören? Was kann das Publikum erwarten? Graziella Contratto dazu: «In ‹Samson› geht es – übrigens hat Raff selbst den Text für das Libretto verfasst, genau wie Wagner in seinen Opern – um Beziehungen, um verschiedene Spielformen der Liebe, um die partnerschaftliche Liebe, die Vater-Tochter-Liebe, die Liebe zur Macht und um Verrat und Missverständnisse. Das Ende ist für einen Schwyzer Romantiker sehr düster geraten: Samson bringt den Tempel zum Einstürzen und begräbt alle darunter, Freunde, Geliebte und Feinde. » Es gehe um ein komplexes Netz von Verstrickungen. Und die Lehren daraus? «Dass Liebe und Politik selten Lösungen bringen und dass Netzwerke sich manchmal auflösen können», erklärt Graziella Contratto und sagt weiter: «Und, das klingt jetzt banaler, als es gemeint ist: Ehrlichkeit währt am längsten. Ich würde vielleicht noch anfügen: Kohärenz und Authentizität währen auch lange.» 

Höfner Volksblatt und March-Anzeiger / Silvia Camenzind

Autor

Höfner Volksblatt & March Anzeiger

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  • Musik

Publiziert am

13.09.2023

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