Bühne
Die Gretchenfrage neu gestellt
Mit «Mein Name ist Margreth» hat die Theater Mafia den Begriff «Jugendtheater» pulverisiert. In der Buechberghalle Wangen zeigte das neu gegründete Ensemble am Wochenende eine Eigenproduktion von verblüffender formaler Intelligenz, historischer Tiefe und inhaltlicher Dringlichkeit.
Die Kulisse besteht aus den Ruinen eines Tempels. Dort, wo einst Athene verehrt wurde, liegen heute die Überreste ihrer Bibliothek. Die Göttin der Freiheit sucht in den Trümmern nach einem neuen Narrativ. Die umstrittene Regisseurin Leni Riefenstahl aus dem Dritten Reich betritt die Bühne; kühl und überlegen: Die alten Obrigkeiten seien nicht mehr konkurrenzfähig. Faust, sagt sie, funktioniere noch. Jeder kenne Faust. Alle könnten irgendein Zitat daraus rezitieren.
Chronik der Unterwerfung
Also: Neufassung. So erscheint Frau Doktor Faust: Klug, erschöpft, nicht mehr bereit, männliche Mythen fortzuschreiben. Sie will eine neue Realität entwerfen, doch das Patriarchat hat seine Spuren hinterlassen; ihre Zweifel, ihr Zorn, ihre Müdigkeit sind Teil der Erzählung. In einer Welt, die weibliche Erschöpfung kalkuliert, wird Verletzlichkeit zur Widerstandsgeste. Gretchen tritt anfänglich als Schatten ihrer selbst auf; missbraucht, zum Schweigen gebracht. Doch sie macht nicht nur eine optische Wandlung durch: Sie beginnt zu lesen, zu schreiben, selbst zu denken. Aus Gretchen wird Margreth, die ihre Frau steht. Immer wieder wird das Spiel unterbrochen in einer Manier, die an Brechts Episches Theater erinnert. Eine Erzählerin legt im kühlen Duktus einer Nachrichtensprecherin patriarchale Gewaltverhältnisse von der Antike bis ins Heute dar: Bibelstellen, die Frauen als unrein abwerten. Der Hexenhammer Heinrich Kramers. Der Schauprozess gegen Olympe de Gouges. Genitalverstümmelung. Zwangsprostitution. Femizide. Dies jeweils gefolgt von einem sarkastischen Nachsatz wie: «Wenn Sie genügend Fakten konsumiert haben, wird das Monster unter Ihrem Bett Sie nicht mitreissen». Aufgeschlagene Wälzer durchziehen das Stück. In ihnen stehen Jahrhunderte frauenverachtender Zuschreibungen: Hure, Hexe, Magd, Objekt. Einige der Figuren wollen sie verbrennen. Doch als Leni Riefenstahl dazu applaudiert, wird klar: Auslöschen ist keine Lösung. Wer Geschichte tilgt, überlässt sie den Falschen. Die Zukunft verlangt ein anderes Erzählen, nicht ein Vergessen.
Wo Wut nicht trennt, sondern eint
In einem surreal verdichteten Bild begegnen sich historische sowie mythologische Frauenfiguren: Aphrodite, Psyche, Anna Göldi. Sie widersprechen einander. Was ist der rich-tige Weg? Schönheit oder Entsagung? Kampf mit Worten oder dem Schwert? Eine abschliessende Einigung bleibt aus. Doch eine Erkenntnis wird gewonnen: Nur verbündet sind die Unterdrückten stark. Weibliche Wut kann zu unendlicher Kraft umgemünzt werden, wenn sie nicht gegeneinander, sondern gegen die herrschenden Ungerechtigkeiten gerichtet wird. «Wir wollten, dass die Zuschauenden sich die Gretchenfrage aus weiblicher Sicht stellen», erläutert Laura Stählin, Präsidentin der Theater Mafia, «wie haben Sie es mit Ihrer Religion, Ihrer Überzeugung und Ihrer Absicht, die Welt zu gestalten?» Dieses Stück wird nicht für das Publikum gedacht, sondern mit ihm. «Mein Name ist Margreth» zeigt, wie lebendig, unbequem und notwendig Theater sein kann, wenn es sich in die Gegenwart einmischt. Von dieser Gruppe will man mehr sehen. Unbedingt.
Höfner Volksblatt und March-Anzeiger / Micha Brandstetter
Autor
Höfner Volksblatt & March Anzeiger
Kontakt
Kategorie
- Bühne
Publiziert am
Webcode
www.schwyzkultur.ch/AjV4PK