«Unglaubliche Energie freigesetzt»: Pater Theo Flury zum fast nicht enden wollenden Applaus. Fotos: Victor Kälin
«Unglaubliche Energie freigesetzt»: Pater Theo Flury zum fast nicht enden wollenden Applaus. Fotos: Victor Kälin
«Jetzt geht es um das Ganze, es gibt keine Kompromisse»: Pater Theo zum Gestehungsprozess. o
«Jetzt geht es um das Ganze, es gibt keine Kompromisse»: Pater Theo zum Gestehungsprozess. o

Musik

«Mir wurde klar, dass die Musik sozusagen nach Hause zurückging

Mit einer Ovation ist Pater Theo Flurys Oratorium «Splendor» aufgenommen worden. Im Gespräch lässt der Komponist ein wenig tiefer in seine Befindlichkeit blicken.

Mehr als zweieinhalb Stun-den dauert Pater Theos Oratorium «Splendor». Es ist dies ein geistliches Konzert, das alle herkömmlichen Rahmen der Dauer, der Form und des Inhalts sprengt. So lange es auch dauern mag: Das Publikum in der Klosterkirche, das am Samstag der Einsiedler Uraufführung beiwohnte, klatschte dermassen stürmisch, als könne es nicht genug von Theo Flurys Kunst zu hören bekommen.

Victor Kälin: Welches ist das schönste, treffendste Kompliment, das Sie für die Einsiedler Aufführung erhalten haben?

Pater Theo Flury: Die Blicke der Menschen, die mich verstehen liessen: Etwas ist angekommen.

Es gab fast nicht mehr enden wollenden Applaus. Was ist Ihnen in diesem Moment durch den Kopf gegangen?

Mir wurde plötzlich klar, dass die Musik sozusagen nach Hause zurückgekehrt war. Die Musik hatte in unserer Kirche ihren Raum gefunden, sie sind sich begegnet. Diese «Kernschmelze » hatte c, welche die Anwesenden mitgerissen hatte.

Wie sind Sie nach einer derart fordernden, mehrstündigen Aufführung am anderen Morgen erwacht?

Ich fühlte Frieden und Ruhe in mir. Sowohl während des Prozesses der Komposition als auch während der Probenarbeiten mit hochkarätigen Ensembles ist immer das Bestmögliche gegeben worden. Wir alle haben unsere Arbeit aufmerksam, ernst und im Dienst an der Sache getan. Das befreit. Es gab keine Spur vom Eindruck: «Hätte ich doch ...»

Gab es zum Zmorge ein Schöggeli als stille Anerkennung?

Schöggeli gab es keines, aber einige schriftliche und mündliche Reaktionen von Mitbrüdern, die mich sehr berührt hatten.

Es ist ja nicht Ihr erstes Oratorium. Aber das mit Abstand aufwendigste. Konnten Sie am Anfang nur schon in Umrissen erahnen, wohin «Splendor» Sie führt?

Klar: Am Anfang hat man eine Vorstellung vom Ganzen, man bastelt eine Arbeitshypothese. Die hatte sich aber immer wieder verändert und angepasst. Der Komponist ist ja keine Strickmaschine, die einfach ein vorgegebenes Muster umsetzt. Er wächst an seinem Werk, wie auch das Werk an ihm wächst. Am Ende steht man vor etwas, das anders und vielschichtiger ist als die ursprüngliche Absicht.

Hätte Ihnen jemand prophezeit, dass es am Schluss 2891 Takte sind: Hätten Sie überhaupt begonnen?

Nein, ich wollte mich nicht äusseren Zwängen oder dem gesunden Menschenverstand beugen. Irgendwie habe ich gespürt: Jetzt geht es um das Ganze, es gibt keine Kompromisse.

Wie war es damals für Sie, als Sie wussten: Jetzt steht das Werk!

Ich hatte mich lange auf diesen Moment gefreut und gedacht, ich würde dann in Jubel ausbrechen. Es war dann erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit die letzte Note aufs Papier geflossen war, in Stille und Selbstverständlichkeit. Aber die Stille vor Beginn der Komposition war eine ganz andere als jene nach der letzten Note. Letztere war gefüllt von Dankbarkeit: «Das Werk ist getan.»

Sie waren nicht nur Komponist, sondern haben auch die Texte ausgewählt und zusammengestellt. Wer hat mehr zum Oratorium «gedrängt»: Der Musiker oder der Kirchenmann?

Musiker und Kirchenmann sind keine Gegensätze. Ich denke, dass die biblischen Texte im Besonderen und die Inhalte des Glaubens im Allgemeinen – etwas salopp ausgedrückt – wie Nescafé sind, manchmal gleichen sie ungeniessbarem Pulver. Nur wenn wir unser Eigenes, sozusagen das Wasser, hinzufügen, kann der Prozess der Assimilation im nachfolgenden «Trinken» geschehen, das unseren Durst stillt, während das aufgenommene Koffein wiederum Bewegung zur Vertiefung oder einer weiteren Suche auslöst.

Textauswahl und Tonalität sind unglaublich hoffnungsvoll, geprägt von einem schier unerschütterlichen Vertrauen. «Splendor» ist ein Fenster zum Glauben, auch zu Ihrem ganz persönlichen Glauben. Woher nährt sich diese wunderbar spürbare Zuversicht, diese Helle, dieser Glanz?

Da kann ich nur mit Paulus sagen: «Tradidi quod et accepi» – ich habe weitergegeben, was ich empfangen habe. Ich habe dem christlichen Glauben nichts weggenommen, aber auch nichts hinzugefügt. Ich habe mich nur in seinen Dienst gestellt.

Das Werk sprengt fast alle herkömmlichen Rahmen. Es ist derart aufwendig konzipiert, dass es nur selten, ganz selten sogar aufgeführt werden dürfte. Warum der «ganze Chrampf»?

Es wird einen Tonträger geben. Abgesehen davon: Diese Frage können wir im Leben immer wieder stellen. Es ist die Frage des Pragmatikers und Technikers, der an Verhältnismässigkeiten interessiert ist. Dadurch wird aber die Frage nach dem Überfliessenden und Gnadenhaften, nach der Gratuität, ausgeklammert und verdrängt, letztlich auch das Bewusstsein des Vergänglichen. Die Musik ist die flüchtigste aller Künste. Das Motto, das ich mir für meine Priesterweihe ausgewählt hatte war: «Ad laudem gloriae Suae» – «zum Lob Seiner Herrlichkeit», ein Satz aus dem Epheserbrief. Für einen kleinen Moment ist ein winziger Funke des ewigen Lobes Gottes diesseitig aufgeblitzt. Das reicht.

Einsiedler Anzeiger / Victor Kälin

Autor

Einsiedler Anzeiger

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Kategorie

  • Musik

Publiziert am

24.06.2022

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