In der Muotataler Heimat: Mirielle (in Weiss) und Cécile (in Blau) Schmidig, zusammen mit Daniel Schmidig. Bild: Niklaus Spörri
In der Muotataler Heimat: Mirielle (in Weiss) und Cécile (in Blau) Schmidig, zusammen mit Daniel Schmidig. Bild: Niklaus Spörri

Musik

Juuzende Schwestern aus dem Muotatal

Mirielle und Cécile Schmidig gehören zu den wenigen, die im Muotathal den puren Naturjuuz pflegen. Jetzt stehen sie am Volkskulturfest Obwald auf der Bühne. Kurz, aber heftig.

Der Föhn bläst über die Matten. Die Sonne leuchtet. Blauer Himmel. Wäsche hängt an der Leine. Die Kleidungsstücke flattern wie Gebetsfahnen im Wind. Das Heimetli von Dänl Schmidig, mitten in Muotathal. Dänl juuzt mit der Formation Natur pur und spielt Örgeli im Trio Echo vom Schattenhalb. Mit seiner Frau Kathrin bewirtschaftet er ein Heimetli. Sechs Kühe, sechs Geissen, ein paar Dutzend Hühner. Die Schwestern kommen mit dem Subaru angefahren. Fröhlich winken sie aus dem Auto. Die Zwillinge sind kaum zu unterscheiden. Später merkt man sich: Mirielle trägt ein weisses Shirt mit schwarzen Punkten, Cécile ein blaues Shirt mit weissen Punkten. Mit ihren Eltern und Geschwistern spielen und singen sie von Kindsbeinen an in der Familienkapelle Franz und Jolanda Schmidig. In der Volksmusikszene sind Franz Schmidig senior, der Grossvater der Zwillinge, Cecilia Schmidig, die Grossmutter, aber auch ihr Vater, weltbekannt.


Wir kriegen Hühnerhaut


Als Mitglied von Natur pur ist Dänl Schmidig eine wichtige Inspiration für die Naturjuuz-Begeisterung der Schwestern geworden. «Wir haben als Jugendliche praktisch jedes Konzert von Natur pur besucht», sagt Mirielle. Dänl verzieht die Mundwinkel zu einem verschmitzten Lachen. «Wenn ich im Winter am Skilift arbeitete, haben sie mir vom Bus aus immer zugewinkt. Da habe ich mich schon gewundert.» Einmal drinnen in der heimeligen Stube, animiert von Kaffee, Chrapfen und Chrüterschnaps, dauert es nicht sehr lange, bis Mirielle ihre glasklare Stimme ansetzt, sich bald darauf Cécile und Dänl einklinken und einen mehrstimmigen Juuz zum Besten geben. Das Stubenbuffet aus dem Jahr 1810 gibt einen fröhlichen Seufzer dazu, wir anderen kriegen Hühnerhaut. «Wunderbar, grossmächtigen Dank!», ruft Martin Hess in die Runde, während die Camel ohne Filter in seinen Fingern ausglimmt und die Augen weiterleuchten. Der weltgewandte Leiter von Obwald hat eine grosse Liebe zum Naturjuuz, überhaupt zu jener traditionellen Volksmusik, die «in einer Welt der Gleichschaltung und Nivellierung des kulturellen Ausdrucks» einen Gegenpol setzt, wie er im Programmheft schreibt. Hess hat dem Naturjuuz am Volkskulturfest Obwald regelmässig eine Plattform gegeben.


Das Einheimische und das Exotische vermischen


Zu seinem Konzept gehört die Gegenüberstellung von Volksmusikformationen verschiedenster Herkunft, die sich, einmal auf der gleichen Bühne, in gewissen Spielweisen und Artikulationen oft verblüffend nahekommen. Seine grösste Freude ist, wenn sich das Einheimische und das Exotische wie selbstverständlich zu vermischen beginnen und klar wird, wie vertraut die grosse Welt in der persönlichen Begegnung plötzlich wird. «Oft muss ich gar nicht explizit Musiker suchen, sondern entsteht das Programm backstage», sagt Hess. Dort, hinter der Obwald-Bühne, beginnen Musiker spontan, miteinander zu singen und zu spielen. Oder sie nehmen ihre Freunde mit, die mitmachen. «Ich brauche nur die Augen und Ohren offenzuhalten, und schon habe ich neue Musiker, Jodlerinnen oder Formationen, die vielleicht in das musikalische Menü des kommenden Jahres passen.»


«Man lernt die Stücke über das Gehör»


Mirielle und Cécile haben mit 14 Jahren begonnen, sich dem Naturjuuz zuzuwenden. Neben Konzerten und CDs von Natur pur hörten sie auch alte Privataufnahmen aus den 1930er-Jahren. «Es gibt keine Noten, man lernt die Stücke über das Gehör», sagt Cécile. Sein Vater habe jeweils im Gaden während der Arbeit oder unterwegs auf dem Einachser gejuuzt, im Takt des Motors, sagt Dänl. «So habe ich viel gelernt.» Der Muotataler Naturjuuz klingt sehr ungeschliffen und archaisch. «Obwohl die Stücke traditionell überliefert sind, gibt es Freiheiten, und man kann seine Eigenheiten einbringen.» Beim mehrstimmigen Singen ergeben sich durch die Naturtöne bestimmte Zusammenklänge und Intervalle, die für die temperiert gewohnten Ohren eher dissonant klingen. «Es gibt kein Richtig und kein Falsch», sagt Mirielle. «Aber wenn es im Ohr ‹sürelet›, dann ist es perfekt.» Die Reglemente der Jodelverbände haben den urtümlichen Juuz gezähmt, ihm die Seele genommen. «Würden wir den Naturjuuz so vortragen, wie er überliefert ist, hätten wir an Jodlerfesten keine Chance», sagt Dänl. So sei der Naturjuuz langsam verkümmert. Umso mehr freut es ihn, dass Natur pur letztes Jahr ans Jahreskonzert des Jodlerklubs Muotathal eingeladen wurde. «Eine schöne Wertschätzung.» Das war längst nicht immer so.


Besser heuen als juuzen...


Schon in der Generation seines Vaters sei der Naturjuuz eher reserviert aufgenommen worden, weiss Dänl. Er selber ging mit Bernhard Betschart (Natur pur, Heimweh) in die Schule und später ins Militär. «Wir haben oft zusammen im Ausgang gejuuzt.» So juuze man doch nicht, das klinge seltsam, meinten die Einheimischen. «Die Leute hatten den Naturjuuz einfach nicht mehr im Ohr. Und wenn ein Bauer auf dem Feld juuzte, hiess es auch schon mal, er solle besser heuen als juuzen.» Die fehlende Wertschätzung brachte Dänl so weit, dass er ein paar Jahre mit dem Juuzen ganz aufhörte. Das änderte sich erst mit dem Interesse von aussen. Die Forschungsarbeiten von Nadja Räss, Einladungen an Volksmusik-Kongresse oder Naturjuuz- Workshops in den Städten machten den Naturjuuz in den letzten 15 Jahren wieder bekannt und beliebt. Die Akzeptanz sei spürbar gewachsen, sagen Mirielle und Cécile. Die ganz junge Generation könne sich wieder mehr mit der eigenen Tradition identifizieren. Trotzdem: «In unserem Alter sind wir immer noch die Einzigen im Tal, die regelmässig juuzen.»


«Das darf nicht vergessen gehen»


Mirielle, die Fachfrau Betreuung Kind, und Cécile, die angehende Bäuerin mit Fachausweis, sind der Tradition verbunden geblieben. Beide hören praktisch ausschliesslich Volksmusik. Den Naturjuuz pflegen sie, weil sie Freude an seiner Urtümlichkeit und seinen Klangfarben haben. «Aber uns liegt auch am Herzen, dass wir dieses Erbe erhalten und fördern können. Das darf nicht vergessen gehen.» Beide machen weiterhin in der Familienkapelle mit. Cécile spielt auch Handorgel und Büchel, Mirielle Klavier. Die beiden gehen gern wandern, fahren Ski oder packen zu Hause auf dem Bauernhof mit an. Es gefällt ihnen, wie und wo sie sind. «Wir sind nicht die, die ins Ausland verreisen», sagt Mirielle, Cécile nickt. Dänl nimmt einen Zug aus dem Pfeifchen und meint: «Das Schönste am Verreisen ist, dass man wieder nach Hause kann.»


Hinweis


Das Volkskulturfest Obwald findet dieses Jahr vom 4. bis 7. Juli im Forstmattli in Sarnen (Anfahrt von Giswil her) statt.


Bote der Urschweiz / Pirmin Bossart

Autor

Bote der Urschweiz

Kontakt

Kategorie

  • Musik

Publiziert am

21.06.2019

Webcode

www.schwyzkultur.ch/pJDsru