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«Circus muss man mit Herzblut und Fanatismus machen»
Am Donnerstag startet der Circus Knie in seine diesjährige Tournee unter dem Motto «Formidable». Direktor Fredy Knie junior spricht im Interview über seine Erlebnisse in der Manege, die Geschichte des National Circus und das neue Programm.
Mit Fredy Knie junior sprach Irene Lustenberger
Übermorgen Donnerstag feiert der Circus Knie die Premiere der diesjährigen Tournee. Die wievielte Tournee ist es für Sie?
Zum ersten Mal in der Manege stand ich als Vierjähriger, also vor 67 Jahren. Aber eigentlich ist es meine 71. Tournee, weil ich seit Geburt mit dabei bin.
Verspürt man nach so vielen Jahrenin der Manege noch Lampenfieber, oder sind die Auftritte zur Routine geworden?
Lampenfieber darf man nicht haben, wenn man mit Tieren arbeitet, da sich dies überträgt. Routine ist es auch nicht, und Routine darf es nie werden. Wenn bei einem solch kreativen Beruf etwas zur Routine wird, ist es nicht mehr gut. Auch wenn wir pro Jahr rund 320 Vorstellungen haben, ist es jedes Mal eine Herausforderung. Man weiss vor der Vorstellung nie, wie es herauskommt. Aber wir stehen zu dem, was wir machen. Ich glaube, das ist das Rezept, weshalb die Leute gerne in den Circus kommen: Es ist live, es wird nichts geschnitten, es kann etwas schiefgehen. Es gibt Leute, die kommen an mehrere Vorstellungen und sagen, dass sie jedes Mal etwas anderes sehen.
Sie sind inzwischen 71 Jahre alt. Wie wichtig ist Ihnen das «junior» hinter Ihrem Namen?
Sammy Davis hiess auch sein Leben lang Sammy Davis junior (lacht). Ich habe auch schon darüber nachgedacht, ob ich das junior weglassen soll. Aber mein Vater ist vielen noch in Erinnerung. Er war Fredy Knie senior, ich bin Fredy Knie junior. Aber es ist mir überhaupt nicht wichtig, ich will mich nicht jünger machen, als ich bin.
Gab es für Sie überhaupt die Möglichkeit, einen anderen Beruf zu ergreifen?
Ja, die gab es. Mit Ivan, meinem Enkel, ist es jetzt genau gleich. Er ist im Sommer 16 Jahre alt geworden und hat die Schule beendet. Wir haben ihn gefragt, ob er im Circus bleiben oder etwas anderes lernen will. Bis jetzt war es für ihn Spielerei, jetzt fängt der Ernst des Lebens an. Und Ivan wollte beim Circus bleiben. Bei uns war es genau gleich. Meine Eltern haben uns nicht gezwungen. Wenn wir einen anderen Beruf hätten lernen wollen, hätten sie nicht versucht, uns zu überreden. Denn der Beruf ist sehr intensiv: sieben Tage die Woche, das ganze Jahr lang. Das muss man mit Herzblut und Fanatismus machen. Das geht nur, wenn man wirklich will.
Das heisst, für Sie gab es keine Alternative?
Die Frage wird mir oft gestellt. Was würde ich arbeiten, wenn ich nicht in den Circus Knie hineingeboren worden wäre? Ich hätte sicherlich einen Beruf mit Tieren ergriffen. Mich faszinieren Tiere, und ich habe einen guten Draht zu ihnen.
Ihre Familie arbeitet mit Pferden, die Familie ihres Cousins Franco stand mit Elefanten in der Manege. Wie ist es zu dieser «Teilung» gekommen?
Das ist in der vierten Generation entstanden. Mein Grossvater und drei seiner Brüder haben den Circus Knie gegründet. Mein Grossvater Friedrich hat sich um die Pferde gekümmert, sein Bruder Karl um die Elefanten. Nach deren Rücktritt hat mein Vater Fredy die Pferde seines Vaters übernommen und mein Onkel Rolf – der Vater von Franco – die Elefanten seines Onkels. Und weil Franco und ich schon als kleine Kinder in den Stall mitgenommen wurden, hat es sich so ergeben.
Die erste Generation Knie war aus Österreich. Was verbindet Sie heute noch mit Österreich?
Wiener Schnitzel (lacht). Nein,im Ernst, wir haben keine Verbindung mehr zu Österreich. Mein Grossvater und seine Brüder waren Österreicher. Als sie für zwei Jahre ins Bundesheer hätten einrücken müssen, wollten sie sich in der Schweiz einbürgern lassen und fragten bei verschiedenen Gemeinden nach. Und die Gemeinde Gerlikon, die heute zu Frauenfeld gehört, hat sich sofort dazu bereit erklärt. Deshalb sind wir heute Bürger von Frauenfeld.
Können Sie sich noch an Ihren ersten Auftritt erinnern?
Mein erster Auftritt war im Winter in Antwerpen. Ich bin zusammen mit meinem Vater aufgetreten und erinnere mich noch genau daran, dass ich mit dem Pony im Galopp in die Manege geritten bin, das Pony ausrutschte und ich kopfvoran im Sägemehl landete. Ich habe mir nicht weh getan, aber für mich war es eine grosse Blamage. Mein Vater nahm meine Hand, drückte sie fest und sagte: «Weinen kannst du hinter dem Vorhang.» Das ist etwas, das mich geprägt hat. Egal, ob man schlechte Laune hat, traurig ist oder Kopfweh hat – das Publikum interessiert das nicht, es will einen fröhlichen, guten Artisten sehen.
Und ist Ihnen als Erwachsener in der Manege schon mal etwas Peinliches oder Lustiges passiert?
Ja natürlich. Ich bin auch schon vom Pferd geflogen. Das ist zwar für einen Reiter peinlich, aber es kann passieren. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich nur mit halbem Kostüm aufgetreten bin (lacht). Das war nach einer Silvesterfeier in Deutschland – wir hatten dort ein Winterengagement – und ich war noch müde. Ich hatte mein Oberteil vergessen und stand mit nacktem Oberkörper in der Manege.
Gibt es eine Tournee, die Sie nie vergessen werden?
Ich hatte in meinem Leben zwei negative Erlebnisse während einer Tournee. Das erste war, als mein Vater gestorben war. Um 20 Uhr hat die Vorstellung begonnen, und zehn Minuten vorher klingelte das Telefon. Er lebte in Wollerau, und die letzten fünf Jahre ging es ihm sehr schlecht. Wir waren mit dem Circus in Lausanne, und ein paar Tage vorher habe ich ihn noch besucht. Ich hatte auch vor, tags darauf, am Sonntag, wieder hinzufahren. Für mich war das natürlich ein grosser Schock, aber die Show musste ja trotzdem stattfinden – auch im Sinne meines Vaters. Ich war mit den Gedanken natürlich bei ihm und habe einfach funktioniert. Das Publikum wusste von nichts, es erfuhr die Nachricht erst einen Tag später aus den Medien. Auf den Gag mit Massimo Rocchi, in dem ich ihn mit Peitsche und Unterhose in der Manege herumjagte, habe ich an diesem Abend aber verzichtet. Beim Tod meiner Mutter war es ähnlich. Sie ist drei Stunden vor der Generalprobe gestorben. Sie können sich ja vorstellen, wie es mir an der Premiere ging. Nach dem Wochenende in Rapperswil war am Montag spielfrei, und ich glaube, ich habe es erst dann richtig realisiert.
Und welches waren die schönen Momente?
Als ich 17 Jahre alt war, hat mir mein Vater mein Lieblingspferd geschenkt. Wir sind eine AG, und die Tiere gehören alle der AG. Deshalb war das für mich etwas sehr Schönes. Er hat es geschmückt und mir in die Manege gebracht, und ich wusste im Vorfeld nichts davon. Mein Vater war sehr streng mit mir und hat mir sehr selten Komplimente gemacht. Als ich aber das erste Mal mit dem Pferd die Hohe Schule geritten habe und als ich das erste Mal mit dem Nashorn in der Manege stand, hat er mir gratuliert. Und die Gratulation meines Vaters bedeutete mir mehr als alles andere. Er hat immer gesagt: «Ihr müsst hart arbeiten, sonst bringt ihr es zu nichts!» Und genau so ist es – in jedem Beruf.
Wie schafft man es, ein ganzes Jahrhundert lang Erfolg zu haben und die Leute zu begeistern?
Man muss gesunden Menschenverstand walten lassen, das Publikum respektvoll behandeln und mit der Zeit gehen. Wenn man den Circus heute und damals betrachtet – da liegen Welten dazwischen. Wir haben uns stetig verändert und angepasst.
Wie war denn der Circus früher?
Man setzte viel weniger auf Show-Effekte. Wenn man mit einem exotischen Tier durch die Manege lief, war das Publikum begeistert. Heutzutage braucht es viel mehr. Und natürlich liegen auch zwischen der Tierhaltung von heute und früher Welten. Aber wir waren immer vorbildlich, weil wir voraus gedacht haben.
Es ist jetzt die dritte Tournee ohne Elefanten. Werden Sie noch oft darauf angesprochen?
Wenn die Leute die Elefanten nicht vermissen würden, dann hätten wir etwas falsch gemacht. Aber sie verstehen es. Es ist nicht so, dass deswegen weniger Zuschauer kommen.
In der vergangenen Saison gab es erstmals seit Jahren wieder einen Unfall, als die Luftakrobatin Malvina Abakarova abstürzte. Wie gehen Sie mit solchen Situationen um?
Wir hatten Glück im Unglück. Es gab zwar einen Unfall, aber keinen lebensbedrohlichen. Malvina Abakarova kann zwar ihre Nummer nicht mehr ausführen, weil sie den Ellbogen nicht mehr richtig strecken kann. Aber sie wollte sowieso aufhören, die Saison im Circus Knie wäre ihre letzte gewesen. Im Circus ist es wie beim Sport: Unfälle können passieren. Aber natürlich wäre es uns lieber gewesen, wenn Malvina ihre Karriere anders hätte beenden können.
Auf die neue Saison hin gab es Änderungen im Zelt. Welche?
Zwei der vier Masten, die das Zelt tragen, wurden durch einen Bogen ersetzt So haben mehr Zuschauer freie Sicht auf die Manege. Für uns bedeutet das zwar mehr Arbeit, aber wir machen das, damit das Publikum zufrieden ist. Nächstes Jahr werden die beiden restlichen Masten durch einen zweiten Bogen ersetzt.
In diesem Jahr gibt es im Circus Knie eine Weltpremiere zu bestaunen: einen Drohnenschwarm. Was erwartet das Publikum?
Wie ich vorhin erwähnt habe, gehen wir mit der Zeit. Die Nummer ist sehr technisch und modern. Die Drohnen werden im LED-Licht herumschwirren. Fürs Auge ist das sicherlich sehr schön.
Ist das der Circus der Zukunft?
Also Drohnen sind sicher nicht die Zukunft (lacht). Der Circus der Zukunft entwickelt sich stetig und passt sich den neusten Errungenschaften an.Wir hatten in der Vergangenheit oft Comedians, das ist ja auch kein traditioneller Circus mit einem Clown.
Was erwartet die Zuschauer beim diesjährigen Programm «Formidable» sonst noch?
Es ist natürlich formidabel, sonst würde es nicht so heissen (lacht). Ich kann kein Highlight aufzählen, da es Geschmackssache ist. Geschmäcker sind verschieden, jeder Zuschauer mag etwas anderes, und es ist sicherlich für jeden etwas dabei. Aber in seiner Sparte ist jeder unserer Artisten ein Highlight, da wir nur die besten auswählen. Ziel ist, dass die Zuschauer zweieinhalb Stunden den Alltag vergessen können und das Zelt zufrieden verlassen.
Und wie lange sieht man Sie noch in der Manege?
Ich trete dieses Jahr nicht auf. Ich lasse den Jungen den Vortritt und gebe ihnen mein Wissen weiter. Im nächsten Jahr feiern wir den 100. Geburtstag, und da bin ich wieder mit dabei. Aber letztendlich bestimmt meine Gesundheit, wann ich aufhöre.
Höfner Volksblatt und March-Anzeiger / Irene Lustenberger
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