Nimmt kein Blatt vor den Mund: Brauchtumsexperte Werner Röllin warnt mit Nachdruck vor Entwicklungen, welche die Fasnacht gefährden. Bild Christoph Clavadetscher
Nimmt kein Blatt vor den Mund: Brauchtumsexperte Werner Röllin warnt mit Nachdruck vor Entwicklungen, welche die Fasnacht gefährden. Bild Christoph Clavadetscher

Dies & Das

«Die Fasnacht ist in Gefahr»

Brauchtumsexperte Werner Röllin macht sich Sorgen um die Schwyzer Fasnacht. Das zunehmende Renditedenken, die fehlende Bereitschaft zu ehrenamtlicher Arbeit sowie die Guuggenmusigen sind laut dem Wissenschaftler eine Gefahr für die traditionelle Fasnacht.

Mit Werner Röllin sprach Christoph Clavadetscher

Herr Röllin, seit Jahrzehnten befassen Sie sich wissenschaftlich mit der Fasnacht. Können Sie die fünfte Jahreszeit auch einfach geniessen?

(lacht) Nicht mehr so wie früher. Das hat vor allem mit dem Alter und der physischen Kraft zu tun. Ich könnte niemals mehr so viel Gas geben wie in jungen Jahren. Nein, aktiv bin ich nicht mehr dabei.

Wie aktiv waren Sie denn früher?

1959 an der Uni Zürich hat mich am Schmutzigen Donnerstag mein damaliger Professor nach derVorlesung am Morgen zu sich gebeten und gefragt: «Röllin, Sie kommen doch aus dem Kanton Schwyz. Haben Sie heute nicht Fasnacht?» Als ich mit Ja antwortete, sagte er, ich solle zusammenpacken, er wolle mich nicht mehr sehen bis am Aschermittwoch.

... und das liessen Sie sich nicht zweimal sagen.

Natürlich. In den Folgejahren, bis etwa Mitte zwanzig, bin ich jeweils während der Fasnacht vier Tage und vier Nächte nicht ins Bett gegangen. Zwischendurch hat man eine halbe Stunde in einer Bäckerei auf einem Mehlsack ein Nickerchen gemacht, danach ging es weiter. Das war damals einfach so.

Eine sehr strenge Zeit ...

(überlegt) Heute könnte ich dies nicht mehr.

Aber als Zuschauer ...

(unterbricht) Ja, ja, als Zuschauer bin ich natürlich immer noch dabei. Ich besuche viele Umzüge und Maskentreffen. Auch im süddeutschen Raum und natürlich in Innerschwyz. Zudem schaue ich oft die Umzüge im Fernsehen und verfolge die Entwicklung genau.

Und was stellen Sie fest? Was macht ganz grundsätzlich die Faszination der Fasnacht aus?

Verkehrte Welt zu spielen. Etwas, das man im Alltag nicht sein kann, an der Fasnacht darzustellen. Die legale Anarchie sozusagen. Banker verkleiden sich als Bauern, die Bauern als Stadtaffen. Männer gehen als Frauen und Frauen als Männer. Die Möglichkeit, während einer begrenzten Zeit aus seiner Haut zu schlüpfen und die Sau rauszulassen, ist nach wie vor sehr reizvoll.

Würde das im Umkehrschluss heissen, dass mein Kollege, der sich an der Fasnacht als Frau verkleidet, gerne eine Frau wäre?

Ich würde da keine Tiefenpsychologie ins Spiel bringen und à la Freud hineininterpretieren, da komme das tiefste Innere zum Ausdruck. Solche Geschlechterwechsel gab es zurück bis in die Urzeit. Auch Gattungswechsel, also dass der Mensch sich etwa als Tier verkleidet, kommt seit jeher vor. Das hat nichts mit individuellen Wünschen zu tun, sondern mehr mit der Möglichkeit, dass es die Gesellschaft während der Fasnacht zulässt.

Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Ganz einfach:Wenn Sie sich unter dem Jahr als Frau verkleidet auf die Strasse wagen, werden Sie als Transvestit eingeordnet. Während der Fasnacht wird es jedoch akzeptiert. Oder mein Neffe als Beispiel: Er ist Banker in einer hohen Funktion, reist das ganze Jahr um die Welt, trifft wichtige Leute, trägt sonst immer Anzüge. An der Fasnacht kam er jedoch wie ein Fecker daher. Auch das ist ein Tapetenwechsel.

Werden wir konkreter. Wie würden Sie die Fasnacht im Kanton Schwyz in groben Zügen beschreiben?

Grob kann man die Innerschwyzer und die Ausserschwyzer Fasnacht klar trennen. In Innerschwyz ist die Fasnacht vornehm und gesittet. Die Figuren wie etwa der Blätz oder das Domino haben eine lange Tradition, gehen auf die Commedia dell’Arte zurück. Diese Figuren benehmen sich nicht lümmelhaft und schlagen auch nicht drein. In Ausserschwyz hingegen gibt es sehr grobe, «ruuchi» Gruppen wie etwa die Zwickdröhtler, die sich schon oft danebenbenommen haben. Eigentlich ein Widerspruch zur Pfäffikoner Philosophie, dass man ja ach so urban ist (sagt es ironisch). Und natürlich gibt es noch die archaische Einsiedler Fasnacht als Sonderfall.

Aber in Innerschwyz kann die Fasnacht doch auch sehr «ruuch» und wild sein. Die Brunner Bartlispiele waren in den Anfängen klassische Rügetheater ...

Ja klar, das war früher so. Doch über die Jahre hat sich die Fasnacht in Innerschwyz zivilisiert. Übrigens auch andere Bräuche. Etwa das Klausjagen in Küssnacht, welches

Autor

Bote der Urschweiz

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Publiziert am

18.02.2012

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