«Ich werde nie bloggen»: Karl Lüönd ist «nicht daran interessiert, gratis zu schreiben». Bild Markus Forte/exPress
«Ich werde nie bloggen»: Karl Lüönd ist «nicht daran interessiert, gratis zu schreiben». Bild Markus Forte/exPress

Literatur

«Ich töte, um gejagt zu haben»

Karl Lüönd, grosser alter Mann des Schweizer Journalismus, hat soeben ein Buch über den Medienzirkus herausgegeben. Im Gespräch erklärt er, wo Journalisten an ihre Grenzen stossen – und was er unter «Witwenschütteln» versteht.

Mit Karl Lüönd sprach Urs Zurlinden

Herr Lüönd, sind Sie schon einmal einem Bären begegnet?

In freier Wildbahn noch nie.

Ein Braunbär reisst in Graubünden wieder einmal Schafe. Wie würden Sie ihn verjagen?

Mit Lärm – das funktioniert auch bei Menschen bestens.

Würden Sie ihn abschiessen?

Wenn es nötig wäre, würde ich den Finger krumm machen. Aber man müsste mich davon überzeugen, dass Gefahr in Verzug ist. Die Wahrnehmung dieser Bären ist ja sehr widersprüchlich: Aus der Ferne findet man sie putzig, aber wenn sie auf dem Schulweg der Kinder auftauchen, kommen sehr rasch die Forderungen nach dem Abschuss.

Was macht Spass am Töten?

Ich jage nicht, um zu töten, sondern ich töte, um gejagt zu haben. Das Töten ist nur ein Bestandteil der Jagd – wie der Vollzug eines Erntevorgangs.

Sie sind Jäger und Journalist. Gibt es da eine Seelenverwandtschaft?

Es gibt etliche parallele Funktionen: Man nimmt eine Witterung auf, folgt einer Fährte, irgendwann ist man in Schussposition, also nahe genug am Objekt, über das man schreiben will. Und: Der Erfolg ist in beiden Tätigkeiten eine Frage des Spürsinns, des Wartenkönnens und des Beobachtens.

Der Journalist macht permanent Jagd auf die gute Story. Mit der Schrotflinte?

Die Schrotflinte hat den Vorteil, dass man nicht besonders genau zielen muss. Sie hat aber den Nachteil, dass ihre Wirkung nach 30 Metern stark abnimmt. Die entfernteren Objekte erreicht sie nicht.

Legendär ist von Ihnen der Begriff «Witwenschütteln» . Eine wenig einfühlsame Methode?

Da widerspreche ich! Der Begriff stammt aus dem Repertoire von deutschen Boulevard-Reportern und besagt: Ich gehe in einem menschlich heiklen Augenblick zu Angehörigen und will ein Interview oder ein Foto haben. Meine Erfahrung als «Witwenschüttler» war, dass die Leute in derart kritischen Situationen gerne mit Fremden reden. Die dürfen sich bloss nicht so aufführen wie die Reporter im Film. Die guten Reporter sind nicht nur auf der kognitiven Ebene unterwegs, sondern auch auf der Gefühlsebene.

Wo liegen für Sie die Grenzen des persönlichen Respekts?

Bei allem, was mit Religion zu tun hat. Dann: Eigentlich alles, was die anderen unnötig verletzt. Wenn hingegen Politiker öffentlich Normen vertreten, die sie privat überhaupt nicht einhalten, soll und darf das sehr wohl zum Thema werden. Dagegen ist nichts einzuwenden. Abgesehen davon sind die rechtlichen Schranken mit der entsprechenden Gerichtspraxis zum Persönlichkeitsschutz in der Schweiz ziemlich eng gezogen. So sind Grenzüberschreitungen bei uns doch eher selten.

Worüber möchten Sie unbedingt noch schreiben?

Sehr reizen würde mich, das schweizerische Rationierungswesen im Zweiten Weltkrieg historisch aufzuarbeiten. Das war eine sensationelle organisatorische Leistung mit einer Regelungsdichte von unvorstellbarer Genauigkeit: Es gab beispielsweise eine Verordnung über erhöhte Milchzuteilung für Müllerei-Katzen! Merkwürdigerweise hat bisher niemand von den kritischen Historikern gemerkt, dass die bürgerliche Schweiz damals wirklich Angst hatte, die Situation des Ersten Weltkriegs würde sich wiederholen: Da gab es überhaupt keine Kriegsvorsorge. Mit der Konsequenz: Die Reichen hatten zu essen, die Armen mussten hungern. Deshalb war die Nahrungsmittelrationierung dann das, was im Zweiten Weltkrieg am besten geklappt hat. Darüber schreibt keiner.

Ihr allererster Artikel handelte von einer «Schneewittchen»-Aufführung. Eine sanfte Theaterrezension?

Das war eine Auftragsarbeit – journalistisch nicht ganz sauber: Es war eine Schüleraufführung, und ich gehörte selber zur Theatertruppe, habe den sechsten Zwerg gespielt. Irgendjemand musste dann etwas fürs «Urner Wochenblatt» schreiben. Zu meiner Überraschung wurde mein Text dann mit 20 Franken honoriert.

Sie waren dann mehrere Jahre beim «Blick». Was ist so attraktiv am Boulevard-Journalismus?

Diese schamlose Ausrichtung auf den Markt! Man geht nicht von einer vorgegebenen Werteordnung aus, sondern von der Verkäuflichkeit: von der Ak

Autor

Höfner Volksblatt & March Anzeiger

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Kategorie

  • Literatur

Publiziert am

08.07.2010

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