Literatur
Sexy Kurven und faszinierend äffisch
Ist das noch ein Tier? Ist das schon ein Mensch? Das weiss man nicht so recht bei der Hauptfigur von Margrit Schribers neuem Roman, wenigstens auf den ersten Blick nicht. Aber der zweite Blick ist ohnehin interessanter …
Die eine Dame ist bildhübsch. Anmutig blickt sie mit ihren funkelnden Augen.Verführerisch sexy wippt sie mit wiegenden Hüften. Erregend räkelnd zeigt sie ihre wendig grazilen Kurven. Oh ja, die erotisiert die Männerwelt: eine Augenweide. Die andere ist potthässlich. Das Ausserordentliche daran: wider eine landläufige Erwartung ergötzt die hässliche Julia Pastrana mehr als die hübsche Rosie la Belle. Sie ist der grosse Publikumsmagnet. Wohlverstanden: Diese untersetzte «bärtige Tänzerin» ist verwachsen, behaart am ganzen Körper, gleicht einem finster blickenden Schimpansen. Aber ausgerechnet sie steigt auf «zur Nummer eins aller gegenwärtig auf der Welt gezeigten Attraktionen». In ihren Freakshows sind die Zuschauerplätze besetzt, die Kassen voll. Und alle Welt klatscht und stampft und tobt.
Eigentlich fies
Wie kann ausgerechnet eine Ungestalt derart faszinieren? Fieser ginge es kaum: Die Pastrana ist der Lächerlichkeit preisgegeben. Just ihr Elend macht sie attraktiv. Ihr Agent macht sich just dieses Elend zunutze, schamlos. Darum lässt er die Affenfrau zusammen mit der anderen, mit der bildhübschen Frau um dieWelt tingeln und auftreten, zusammen mit der Augenweide. Und siehe: Rosies Wohlgestalt, ihre erotische Ausstrahlung steigert tatsächlich den Effekt von Julias Hässlichkeit. Die verführerisch wendige Anmut macht das Affenweib erst recht zum Tollpatsch. Die schönkurvige Wendigkeit treibt das Schwerfällige der Dicklichen hervor.
Wen also wunderts: Das Gelächter der Selbstgefälligen braust orkanartig durchs Publikum. Denn wer da zuschaut, kann sich auf Rosies Seite schlagen, kann sich irgendwie «höher» fühlen: «Das hässlichste aller Geschöpfe» wird vorgeführt, damit «der Mensch sich auf seine Erhabenheit besinne».
Eine Affenfrau mit drei Sprachen
Erhabenheit? Schon gut. Eigentlich ist das Niedertracht. Aber wo unreflektiert nur Rangordnung zählt, wähnt sich der Mensch alleweil über den tierartigen Wesen, also auch über einem Affenweib. Naturnahe Menschen faszinieren allerdings nicht nur als mindere Wesen, sondern paradoxerweise ebenso – als unerreichbare. So haben zum Beispiel Robinson auf der einsamen Insel oder ebenso der muskulös-athletische AffenmenschTarzan über seinen gefährlichen Schründen eine respektable Karriere im Kollektivbewusstsein hinter sich.
Mit unserer üblichen grauen Alltagstheorie gelangen wir nie so recht hinter die Geheimnisse solcher Naturmenschen. Sind sie nicht darum Nahrung für das ebenfalls geheimnisvolle Unbewusste, das grüne «innere Afrika»?
Auch der geldgierige Agent in Schribers neuem Roman saugt Honig aus der Rätselhaftigkeit seiner Affenfrau. Einerseits hält er sie wie ein Tier, anderseits bringt er ihr drei Sprachen bei. Immer weiss er dabei: «Je mehr man sie ins Rampenlicht rückt, desto undurchschaubarer wird sie. Je undurchschaubarer sie ist, desto interessanter wird sie.»
Scham und Gelächter zugleich
Rampenlicht ist aber nicht zwingend gleich Wissenschaft. Die beschäftigte sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts vermehrt mit der Frage nach der Grenze von Mensch und Tier. Stimmigerweise spielt der Roman denn auch zu dieser Zeit. Darwin schrieb damals seine Bücher. Die Folgen für den Gefühlshaushalt spitzte Nietzsche auf die Frage zu: «Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham?» Margrit Schriber hat die Mentalität dieser Ära erfasst, cool und brutal genau, wie es ihre Art ist. Sie setzt die Wörter wieder treffend, auch treffend entlarvend. So ist etwa die Affenfrau auf ein «Exponat » reduziert. Oder das Erlernen der Sprachen wird als «Dressur» und «Bildung» zugleich bezeichnet. Präzis auch ihr Zoom auf menschlich typische Verhaltensweisen; er ist da und dort selbstredend ein Zoom auf menschliche Lüge. Ihre Regie der Perspektiven ist einmal mehr vielschichtig klug: eine Regie böser Gerüchte, hoher Illusionen und niederer gesellschaftlicher Klischees. So fördert sie Wahrheit zutage, ironisierend und demaskierend.
Eine der Perspektiven öffnet s
Autor
Bote der Urschweiz
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- Literatur
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