Bühne
Die Todsünden sehen da ganz anders aus
Das Kollegitheater Schwyz zeigt eine faszinierende und variantenreiche Inszenierung von Hofmannsthals «Jedermann».
Ein alter Klassiker als Kern der Handlung, aber zeitgenössisch bearbeitet aus der Sicht von jungen Erwachsenen, ohne Berührungsängste zum Stoff, verfremdet und frech. Dieses Rezept hat sich erneut bewährt, wenn das Ensemble des Kollegitheaters nun zum «Jedermann » einlädt. Kurz: Es war hervorragend, spannend und höchst unterhaltsam. Die Inszenierung kann sich auf drei ganz starke Säulen stützen. Erstens auf die Spielfreude und fühlbare Theaterbegeisterung. Seit September wurde geprobt, das grosse Ensemble von rund dreissig Spielerinnen und Spielern ist – gemäss eigenen Angaben – immer mehr aus der Komfortzone heraus- und in die Bühnenwelt hineingewachsen. Das Ensemble bewältigt auch häufige Rollenwechsel, als ob dies nichts wäre. Die zweite Säule ist der bearbeitete Text, die junge Sprache. Der vielleicht «abgelutschte» Klassiker wandelt sich so zu einem Stück, das plötzlich im Alltag steht. Die Mundartfassung von Georg Suter verrät eine gute Beobachtungsgabe für die Sprache der Jugend. Und drittens ist es sicher Klaus Opilik, der Regie, Text und Produktion geleitet hat. Er ist ein Glücksfall für diese Schulbühne. Und höchst erfreulich wäre es, wenn er auch nach der bevorstehenden Pensionierung dieses Theatermandat weiterführen würde.
Die Todsünden der Jugend persifliert
Also: der Klassiker von Hugo von Hofmannsthal aus dem Jahr 1911, die freie Bearbeitung und ein tolles Ensemble. Das Grundthema «Vom Sterben des reichen Mannes» führt durchs Stück. Nur wird das «jedermann» exemplarisch an den sieben Todsünden verarbeitet. Und zwar aus der Sicht der jungen Generation. Da kommen die Todsünden plötzlich ganz anders daher. Die Trägheit ist der stinkfaule, perspektivlose Schulkollege. Der Zorn äussert sich in der gewalttätigen Demo, im angezettelten Schulstreik, in Gewalt gegen Mitschüler und Mobbing. Die Hochmut wird ganz gewaltig persifliert in der Person einer realitätsverlorenen Influencerin. Auch jene Idee ist grossartig, dass die Völlerei nicht nur das grosse Fressen ist, sondern alles, was man im Übermass in sich hineinzieht, also auch die Handymanie, das Eintauchen in Social Media, sogar die Leere oder exzessiver Verzicht kann Völlerei sein. Begleitet von Neid, Habgier und Eitelkeit. Die ganze Inszenierung ist frech, teils sogar sehr frech, burschikos und vor allem auch sehr witzig. Das Spiel auf der Bühne trieft vor Selbstironie und hat viele Überraschungen bereit. Ganz besonders wird dies in der Darstellung der Wollust herrlich präsentiert; Jugendliche im Erleben ihrer eigenen Sexualität mit all der Verunsicherung. Eine Szene, in der Erotik prickelt und die für ein Schultheater erfreulich mutig ist.
Gott und der Tod sind weiblich
Für die sehr frisch wirkende Dramaturgie typisch ist, dass zum Beispiel die Rollen von Gott und Tod weiblich besetzt worden sind. Die eine gelangweilt und enttäuscht, die andere in schwarzem Leder und ohne Sense. Auch holt diese Tödin noch lange nicht alle, sondern immer wieder springt eine oder einer von der Schippe. Vielsagend ist auch, wie der Teufel mit seinen diabolischen Versuchen fast immer an der Realität scheitert, die teuflischer ist, als er es selber kann. Die Inszenierung zieht auch das Publikum mit hinein, die Grenze zur Bühne löst sich auf. Plötzlich sieht man sich in den Stuhlreihen selber mit den eigenen Fragen konfrontiert. Grosse Wirkung erzeugt die ausgezeichnete Choreografie. Das Ensemble ist in hoher Präsenz auf der Bühne vertreten und liefert sogar mehrere Tanznummern ab. Das Bühnenbild selber kommt abstrahiert daher. Was dazu führt, dass die Handlung absolut im Vordergrund steht. Geschickt wird die Ton- und Projektionstechnik eingebaut, ohne zu erdrücken. Interessant ist weiter, wie das Ensemble gleich selber die Arbeit für Auf-, Um- und Abbau auf der Bühne übernimmt, oft ohne dass die Zuschauenden es wirklich realisiert.
Bote der Urschweiz / Josias Clavadetscher
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Bote der Urschweiz
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