«Alte Neuigkeiten»: Organisator Beat Auf der Maur vom Kulturverein Steinen (links) und Erzähler Hans-Jörg Koller hören in den Pausen den fantastischen «Helvetic Fiddlers» zu. Bild Franz Steinegger
«Alte Neuigkeiten»: Organisator Beat Auf der Maur vom Kulturverein Steinen (links) und Erzähler Hans-Jörg Koller hören in den Pausen den fantastischen «Helvetic Fiddlers» zu. Bild Franz Steinegger

Brauchtum / Feste

Im Bremserwagen geschmust

Volles Haus am vierten Abend der Zeitreise in die Vergangenheit von Steinen: Werner Annen und Hans-Jörg Koller liessen das Dorfleben der 1940er- bis 1960er-Jahre aufleben.

Der Ur-Steiner Werner Annen erzählte «alte Neuigkeiten» aus dem wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Leben des Dorfes Steinen. Die Kriegsjahre, die er selber erlebt hatte, nannte er «eine schwierige Zeit». Allgegenwärtig seien die Angst und Gefahr gewesen, man habe nie gewusst, wann der Krieg auch in die Schweiz komme. Doch der Wehrwille und der unbedingte Drang, die Freiheit zu verteidigen, seien überall spürbar gewesen. Alles sei rationiert gewesen. So durften beispielsweise die Bäcker das Brot erst 48 Stunden nach dem Backen verkaufen, damit man nicht zu viel davon ass.

«Die Angst sass im Nacken»

In den 50er-Jahren setzte dann der Aufschwung ein: Die alten Schüttsteine verschwanden, nach und nach wurden auch abgelegene Heimwesen mit Strom versorgt, die «Knebelschiissäli » von modernen sanitären Anlagen abgelöst, die Häuser erhieltenWasseranschluss. Doch blieb während des Koreakrieges Anfang der 50er-Jahre die Angst, dass sich ein neuer Weltkrieg entfesseln könnte. «Die Leute waren sensibilisiert durch den 2.Weltkrieg, die Angst sass immer im Nacken.»

Lastwagen ersetzt Ross und Wagen

Werner Annen kann sich sogar daran erinnern, dass Ende der 30er-Jahre noch eine Hammerschmiede mit Esse und Schlackenloch in der Nähe des Bahnhofs existierte. Auch eine Wagnerei gabs. Viele, sehr viele dieser traditionellen Gewerbebetriebe starben aus, andere konnten sich erfolgreich entwickeln und sich sogar global positionieren. Neue Berufe entstanden, wie die des Heizungsinstallateurs. Ingenieure und Architekten liessen sich im Chriesidorf nieder. Dafür sieht man heute die «Hausierer mit ihren Chrätzen» nicht mehr, Ross und Wagen wurden durch Lastwagen ersetzt, die holzgefeuerte «Chuscht» wurde vom Gaskochherd abgelöst. Der Bahnhof war damals noch während 24 Stunden am Tag belegt, denn «das meiste wurde durch die Bahn transportiert, von der Milch bis zu den Möbeln». Im abgestellten Bremserwagen der SBB traf man die Dorfjugend beim «verbotenen Rauchen» oder beim «Schmusen».

Viele Dorfläden sind verschwunden

Im zweiten Teil des Abends in der alten Schnapsbrennerei zählte Hans-Jörg Koller 17 Lebensmittel- und 13 Non-Food-Dorfläden auf, wo man von Hosenknöpfen bis zu Wurstwaren alles für den täglichen Bedarf kaufen konnte. «Vim putzt alles» hiess es etwa, es gab den «Fichtenduft» oder das Vivi-Cola von den Eglisauer-Quellen. Für fünf Rappen gabs eine Zigarette einzeln. Das Lädelisterben setzte in den 60er-Jahren ein. Heute sind ganze vier Läden übrig geblieben, obwohl sich die Einwohnerzahl mit 3000 fast verdoppelt hat. Auch bei den Restaurants gab es einen Kahlschlag. Steinen hatte in den 50er-Jahren 15 Restaurants, «pro 120 Einwohner eine Beiz», erinnerte sich Koller. So mancher ging auf ein langes Feierabendbier in die Kneipen, die Konservativen in diese, die Liberalen in eine andere. Es herrschte oft eine ausgelassene Stimmung. «1953 schaffte sich das Restaurant Adler den ersten TV-Apparat an, wo dann jeweils das halbe Dorf in die Röhre guckte.»

Wunderbare Musik

Einen ganz besonderen Akzent setzten die «Helvetic Fiddlers», eine ad hoc zusammengestellte Geigenmusik um die Steinerin Claudia Dober. Sie spielte alte Tänze, vom kaum mehr bekannten «Galopp» bis zum Schottisch. Fast alle dieser Tänze stammten aus der 12 000 Stücke umfassenden Sammlung von Hanni Christen. Man fühlte sich durch diese wunderbare Musik in die Zeiten zurückversetzt, als das Leben noch seinen gemächlichen Gang nahm.

Der letzte Abend der fünfteiligen Serie der «Zeitreise» findet am kommenden Freitag statt, wo Paul Reichmuth von der Steiner Affäre 1942 «vom Schnaps und Schwarzhandel» erzählen wird.

Bote der Urschweiz

Autor

Bote der Urschweiz

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  • Brauchtum / Feste

Publiziert am

21.09.2009

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