Interviewpartner Pietro Vernazza, ehemaliger Chefarzt, Infektiologe und HIV-Forscher, war Gast an der Buchvernissage von Autorin Rachele De Caro und Fotograf Paolo De Caro (von links). Foto: Gina Graber
Interviewpartner Pietro Vernazza, ehemaliger Chefarzt, Infektiologe und HIV-Forscher, war Gast an der Buchvernissage von Autorin Rachele De Caro und Fotograf Paolo De Caro (von links). Foto: Gina Graber

Literatur

«Wir sollten nie aufhören, Fragen zu stellen»

«Das Dazwischen»: Buchvernissage in der Fram Am Samstagabend fand in der Fram die Vernissage des Buches «Das Dazwischen» statt. Das Werk der Einsiedler Autorin Rachele De Caro enthält Interviews mit sechs Persönlichkeiten, die zur Coronapandemie keinen polarisierten Standpunkt einnehmen, sondern sich mit allen Aspekten der Krise auseinandersetzen.

Die Coronapandemie scheint weit weg zu sein. Ganz andere Krisen erschüttern zurzeit die Welt und lassen den Lock-down, die Verzweiflung und die Erschöpfung der vergangenen zwei Jahre vergessen. All die Erlebnisse und Erinnerungen ha-ben die Einsiedlerin Rachele De Caro aber nicht losgelassen. Insbesondere beschäftigte sie die Tatsache, dass das Virus nicht nur krank machte, sondern die Gesellschaft regelrecht spaltete. Die Schere zwischen «richtig» und «falsch» tat sich immer mehr auf, die Tonlage in den Medien und in Diskussionen verschärfte sich, je mehr Pandemieopfer zu beklagen waren.

Intellektuelle Auseinandersetzung


Die Autorin fragte sich, warum man seine Meinung plötzlich nicht mehr vertreten durfte, ohne von der einen oder der anderen Seite angegriffen zu werden, und begann, sich für das «Dazwischen» zu interessieren. Nach intensiven Studien aller Aspekte suchte sie Anfang 2021 Schweizer Persönlichkeiten, die sich beruflich und intellektuell mit der Pandemie auseinandergesetzt hatten und bereit waren, mit ihr über diese Zwischentöne zu sprechen. Aus diesen Gesprächen ist ihr Buch mit sechs Interviews entstanden, die von freien Betrachtungen zu Themen wie Moralismus, Kritik oder Stigmata umrahmt werden. Die tiefgründigen Interviews zeigen, wie wichtig es ist, Fragen zu stellen und nicht einfach zu schweigen. In der unglaublichen Hektik der Ereignisse wurden die Menschen zu einer «Sache», man benannte die Anzahl der Kranken, Toten und der verfügbaren Spitalbetten in einem Atemzug. Die Medien und die Politik polarisierten gleichermassen, was zu immer härteren Fronten führte. Die Impffrage spaltete Freundschaften und Familien und führte zu Frustrationen und Misstrauen.

Spannungen und Ambivalenzen aushalten


Dieses Dilemma zu benennen und zu analysieren, war unter anderem das Ziel von Rachele De Caro. Die Gesellschaft muss lernen, Spannungen und Ambivalenzen auszuhalten. Sie ist überzeugt, dass die Kritik am Staat den Staat weiterbringt und ihm nicht schadet. Dies gelingt jedoch nur mit dem Willen zu einer echten Dialogbereitschaft und durch Respekt gegenüber anderen Haltungen: «Wir sollen nie aufhören, miteinander zu reden und Fragen zu stellen.» Die Autorin zitierte am Schluss ihres Vortrags alt Bundesrat Moritz Leuenberger, der sich zu ihrem Buch geäussert hatte: «Das Wesen der Demokratie besteht im kritischen Hinterfragen, nicht nur der ‹anderen Seite› oder der Behörden, sondern vor allem von sich selbst. Denn jeder politische Gegner vertritt stets auch ein Korn von Wahrheit. Dieses Korn zu entdecken und es in der eigenen Meinung aufblühen zu lassen, bedeutet gelebte Demokratie.»

Nach der Krise ist vor der Krise


Die sehr anregende Buchpräsentation war nur von einem guten Dutzend Zuhörerinnen und Zuhörern besucht. Vielleicht scheint das Thema Corona im Moment einfach zu weit weg zu sein. Vielleicht befindet sich die Gesellschaft aber gerade jetzt in einem zeitlichen «Dazwischen», denn die Covid-19-Ansteckungen nehmen wieder zu, man wird sich erneut Fragen zur Umgang mit dem Virus stellen müssen. Das reich bebilderte Buch (Fotos: Paolo De Caro) liefert wertvolle Denkanstösse zur Vorbereitung auf die nächste Pandemiewelle. Folgende Persönlichkeiten kommen im Buch zu Wort: Barbara Schmid-Federer, Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes sowie ehemalige Präsidentin Stiftung Pro Juventute; Peter Grünenfelder, Direktor Avenir Suisse; Ruth Baumann- Hölzle, Ethikerin, Stiftung Dialog Ethik; Benedict Neff, Feuilleton Chef NZZ; Pietro Vernazza, ehemaliger Chefarzt Infektiologie Kantonsspital St. Gallen, Mediziner, Infektiologe, HIV-Forscher sowie Lukas Gresch-Brunner, Generalsekretär des Eidgenössischen Departements des Innern. Rachele De Caro: Das Dazwischen. Sechs Persönlichkeiten, die ihre Stimme in Zeiten der Pandemie und der Polarisierung für Zwischentöne einsetzen.

Einsiedler Anzeiger / Gina Graber

Autor

Einsiedler Anzeiger

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Kategorie

  • Literatur

Publiziert am

04.10.2022

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