Bühne
Grosse Theaterdame spielt die «alte Dame»
Kultur Brunnen zeigte den «Besuch der alten Dame» von Annette Windlin.
Eigentlich ist es ein sehr gewagtes Unterfangen. Einen Dürrenmatt-Klassiker, der sonst mit zwei Dutzend Figuren, Statisten und zwei Chören besetzt ist, als Solostück aufzuführen, das ist mehr als ambitiös. Und mit dieser an Aktualität alles andere als verblichenen Tragikomödie gleichzeitig auch noch Gesellschaftskritik zu manifestieren, erst recht.
Eine Milliarde für Gerechtigkeit
Annette Windlin hatte den Mut dazu und natürlich die Theatererfahrung. Sie hat die Handlung konzentriert, auf etwa ein Dutzend Rollen und zwei Puppen heruntergebrochen und kommt so in Eigenregie mit einer faszinierenden, spannenden Inszenierung daher, die sie übrigens inzwischen schon etwa 40 Mal gespielt hat. Die Thematik ist bekannt. Die Milliardärin Claire Zachanassian will Gerechtigkeit. Sie bringt als eigentliche Rachegöttin die Einwohner des ruinierten Städtchens Güllen dazu, für eine Milliarde Franken einen Mord zu begehen. Diese zentrale Figur der ins Dorf ihrer Jugend zurückgekehrten Zachanassian wird von Windlin kühl, berechnend, rachsüchtig und doch von innerem Schmerz zerrissen gespielt. Ladenbesitzer Alfred Ill, das eigentliche Opfer, wird gezeigt, wie er sich vom beliebtesten Bürger des Städtchens und Vermittler aller Hoffnungen zum Objekt aller Tragik wandelt, aber am Schluss eigentlich der Einzige ist, der Reue für seine Taten zeigt. Das Stück endet dramatisch-tragisch: Man kann Gerechtigkeit kaufen – oder das, was man dafür hält.
Wechsel im Sekundentakt
Die gewaltige Leistung von Annette Windlin besteht darin, dass sie manchmal fast im Sekundentakt von einer Rolle in die andere switchen kann. Diese Wechsel werden mit zwei Schritten zur Seite, mit wechselnder Stimmlage, mit anderer Mimik und nur mit wenigen Requisiten geschaffen. Windlin spielt so etwa ein Dutzend Rollen. Verteilt über das ganze Stück, ist spürbar, wie Windlin die Lust Friedrich Dürrenmatts an der Groteske, an der Karikatur, an bizarren Wortspielen und Anspielungen voll auslebt. So etwa die bigotten Ausreden des Pfarrers, der nur an die neue Kirchenglocke denkt. Oder der Dorfpolizist, der quasi Dienst nach Strafgesetzbuch macht, mit dem Argument, dass doch alles nicht ernst gemeint sei. Weiter der Dorfschullehrer, der am eigenen Bild des Humanismus scheitert. Oder dann der Bürgermeister, den Windlin mit einem markanten Innerschwyzer Dialekt spielt, was man durchaus als Anspielung verstehen kann. Begleitend steht da immer der unschuldig weisse Sarg auf der Bühne, auf dem die Zachanassian sogar ihren Hut wie einen Trauerkranz niederlegt. Eine grosse Dame des Theaters spielt hier die «alte Dame» grossartig.
Einfaches Bühnenbild, geschickte Projektionen
Wo im Original ganze Gruppen auftreten, da greift die Inszenierung zu Projektionen auf einem schlichten Bühnenbild aus Vorhängen. So in der Szene, als sich das vermeintliche Opfer am Bahnhof nach Australien verabschieden will, aber aufgehalten wird. Windlin lässt da hinter sich sieben Figuren auftreten, die sie selber eingespielt hat. Oder geschickt wird auch die Abstimmung über die Genehmigung der grausam- mordsmässigen Stiftung inszeniert, als sich immer mehr Hände in die Höhe recken. Die beiden Eunuchen Koby und Loby, die wegen ihrer damals falschen Zeugenaussage geblendet und kastriert worden sind, werden als Puppen vorgeführt. Was nur unterstreicht, wie sie zum Werkzeug geworden sind. Begleitet wird Windlin von Christian Wallner. An der Gitarre sorgt er für die akustische Untermalung, vom Eisenbahnzug bis zu rockigen oder gespenstischen Klängen. Auch spielt Wallner in einigen Szenen mit, oft als Statist, manchmal in kleinen Dialogen, aber immer mit komödiantischem Flair. Gezeigt wurde diese Soloinszenierung in der Aula des Theresianums Ingenbohl. Kultur Brunnen, ständig auf der Suche nach Vortrags-, Kultur- und Ausstellungsräumen, hat hier einen idealen Theatersaal aktiviert und genutzt. Angesichts des guten Besuchs scheint auch die Gehdistanz auf den Klosterhügel kein Problem mehr zu sein. Diese Aufführung setzte übrigens die Latte sehr hoch für die Bühne 66, welche nächstes Jahr ebenfalls das erfolgreichste Stück von Friedrich Dürrenmatt auf die Bühne bringen wird. Dann allerdings in Vollbesetzung.
Bote der Urschweiz / Josias Clavadetscher
Autor
Bote der Urschweiz
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- Bühne
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