Volkskultur

Nachrichten SchwyzKultur

«Jodeln ist meine Muttersprache»

Sie ist Jodlerin und Gesangspädagogin mit Leib und Seele. In ihren Projekten lotet Nadja Räss sämtliche Klangfarben der Stimme aus – und nutzt sie zur grenzübergreifenden Kommunikation.

Nadja Räss zählt zu den vielseitigsten und besten Jodlerinnen der Schweiz. Die 45-jährige Einsiedlerin verbindet alte und neue Klänge der Volksmusik. Ihr innovatives und nachhaltiges Schaffen wurde mehrfach ausgezeichnet, demnächst mit dem «Goldenen Violinschlüssel». 


szene: «Wenn ich gross bin, werde ich Jodlerin», sagten Sie als Kind. Wussten Sie schon damals, dass Sie als Jodlerin auch gross herauskommen würden?

(lacht) Nein, ich war einfach ein sehr singendes Kind. Es ist toll, dass ich heute meinen Lebensunterhalt damit verdienen kann. «Gross herauszukommen» stand nie im Zentrum. Jodeln ist meine Muttersprache. So, wie ich gerade mit Ihnen rede, ist es Teil meiner Sprache, so zu singen.

 

Am 18. Oktober 2025 erhalten Sie in Einsiedeln den «Goldenen Violinschlüssel», die höchste Auszeichnung im Bereich der klingenden Folklore. Was bedeutet sie Ihnen?

Sehr viel, weil ich weiss, wer die Auszeichnung vor mir erhalten hat. Willi Valotti, Marie-Theres von Gunten oder Ruedi Renggli sind grosse Vorbilder von mir. Zusammen mit ihnen auf dieser Liste zu stehen, ist mir eine grosse Ehre.

 

Mit Ihren Wurzeln in der Innerschweiz und im Appenzellerland prägten Sie zwei unterschiedliche Jodeltraditionen – eine mehr als die andere?

Beide gleich, würde ich sagen. Jodeltechnisch bin ich am perfekten Ort geboren (schmunzelt). Meine Mutter kommt vom Ybrig. Dort gibt es Klänge zu entdecken, die nah sind an den Muotathaler Jüüzli, der archaischen Form des Jodelns. Stark zuhause, väterlicherseits, bin ich auch beim Innerrhoder Ruggusseli oder beim Ausserrhoder Zäuerli. Je nach Herkunft klingen Naturjodel völlig unterschiedlich, was ich äusserst spannend finde. Oft liegen sie sehr nah am gesprochenen Dialekt.

 

Sie verknüpfen den Jodel auch mit traditionellem Gesang aus anderen Kulturkreisen. Warum?

Musik ist eine grenzübergreifende Sprache. Besonders beim traditionellen Singen, mit Silben statt Text, entsteht eine Kommunikation auf ganz anderer Ebene. Beim jährlichen «Klangfestival Naturstimmen», das ich 2012 – 2018 als Leiterin der Klangwelt Toggenburg organisierte, merkte ich: Auch wenn Klänge immer eingebettet sind in ihren Kulturkreis, gibt es Anknüpfungspunkte, in denen wir uns gar nicht so fremd sind. So entstand auch das Trio «Pulkkinen-Räss-Sadovska», mit dem ich im Herbst auf Tour-nee gehe (siehe Tipp). Es stellt Sängerinnen aus unterschiedlichen Gesangskulturen – der Schweiz, Ukraine und Finnland – nebeneinander und lotet Gemeinsamkeiten aus.

 

Jodeln scheint, gerade bei Jungen, wieder populärer zu werden. Wie erklären Sie sich diesen Trend?

Ja, in den letzten Jahren ist viel passiert – und es wird noch viel passieren. Dafür sind auch die Medien verantwortlich, weil sie Jodeln moderner wiedergeben. Einen positiven Einfluss haben auch die Jugendjodelchöre, die vielerorts entstanden und sehr präsent sind auf sozialen Medien.

 

Das Jodeln an andere weiterzugeben, war Ihnen schon immer ein Anliegen. Seit 16 Jahren bieten Sie Workshops an, insbesondere für Einsteigende. Kann jeder Mensch jodeln?

Ja, davon bin ich überzeugt. Jodeln ist im Grundsatz eine Technik, die jede und jeder lernen kann. Klar gibt es Menschen, die weniger Talent und Zugang haben zu den Stimmregistern. Für die grosse Bühne reicht es ihnen dann nicht, zum freudestiftenden Hobby aber sicher.  

 

Seit 2018 unterrichten Sie Jodel an der Hochschule Luzern – als Hauptfach, was schweizweit einzigartig ist …

… und mich sehr freut. Seit 2007 ist ein Studium im instrumentalen Bereich möglich, vor sieben Jahren kam das Jodeln dazu. Nebst «Klassik» und «Jazz», gibt es seit 2022 an der Hochschule Luzern sogar ein eigenständiges Profil «Volksmusik». Für all das wurde es auch Zeit, wie ich finde: Gesang – als eines von vielen Instrumenten der Volksmusik – kann man in skandinavischen Ländern schon seit 40 Jahren studieren.

 

Was vermitteln Sie Ihren Studierenden?

Im Bachelorstudium steht das Beherrschen des Instruments im Vordergrund, also Dinge wie Atemtechnik, Stimmführung, Registerwechsel oder Klangfarben. Im zweijährigen Master vertiefen die Studierenden die Weiterentwicklung und Vermittlung ihres Handwerks. Semester für Semester vereinbaren wir individuelle Ziele. Dazu gehört das genaue Heraushören und Niederschreiben von alten Naturjodeln, aber auch die Analyse von nicht so oft gehörten Jodelliedern.

 

Gab es auch kritische Stimmen gegenüber dieser «Hochschulreife»?

Ja, insbesondere aus der Jodelszene. Man hatte Angst, dass Jodeln «verakademisiert» würde. Das kann ich begreifen. Es gab einen grossen Bedarf an Kommunikation und Information. Wir machen nicht einfach «schrägs Jodle» und «nüüs Züüg». Wir pflegen unsere Tradition und entwickeln sie weiter. Nach dem Studium gehen spezifisch ausgebildete Lehrpersonen nach draussen und geben das Jodeln fachkundig weiter – und das dient letztlich allen.

 

Artikel erschienen im szene Magazin (Kulturmagazin des Kantons Schwyz: Ausgabe 5 - Juni 2025 / Text: Simone Ulrich

Autor

SchwyzKulturPlus

Kontakt

Kategorie

  • Musik
  • Volksmusik

Publiziert am

20.06.2025

Webcode

www.schwyzkultur.ch/bDiRF8