Literatur

«Meine Bestimmung liegt im künstlerischen Schaffen»

Meinrad Inglins «Tagebuch 1913–1920» und Briefe aus dieser Zeit wurden veröffentlicht.

Im Depot der Kantonsbibliothek Schwyz befindet sich eine äusserst wertvolle Sammlung. Der renommierte Schwyzer Schriftsteller Meinrad Inglin (1893–1971) hat testamentarisch verfügt, dass sein persönlicher privater und künstlerischer Nachlass der Kantonsbibliothek übergeben wird und so der Öffentlichkeit zugänglich bleiben soll.

Nicht alle Dokumente und Bücher in diesem Fundus aber sind allgemein zugänglich. Zum Beispiel ein schwarzes Wachstuchheft nicht, das sich in den Materialien befand und sich als Tagebuch des jungen Inglin aus dem Zeitraum der Jahre 1913 bis 1920 herausstellte. Es ist nun editiert worden und öffnet einen recht detaillierten, sehr faszinierenden Blick auf einen jungen Mann, eingeengt zwischen den bürgerlichen Erwartungen eines damals bigotten, katholisch-konservativen Schwyz und seinem Drang zur freien Schriftstellerei. Inglin hält so 1916 in einem Eintrag selbst erkennend fest: «Es wird mir immer deutlicher, dass meine Bestimmung ausschliesslich im künstlerischen Schaffen liegt.»


Auf dem Weg nach «Ingoldau»

Auf rund 40 Seiten kann der Leser verfolgen, wie sich Meinrad Inglin aus den gesellschaftlichen Reglementierungen befreien musste und mutig in die Selbstständigkeit gefunden hat. Das Tagebuch zeigt auch Inglins Weg auf, der 1922 zu seinem ersten grossen Roman und dem dadurch ausgelösten, sehr heftigen Skandal in Schwyz geführt hat: «Die Welt in Ingoldau». Inglin wurde als Nestbeschmutzer verschrien und musste sogar temporär nach Zürich flüchten. Daneben sind im Tagebuch viele Notizen enthalten, welche wie ein Arbeitsbuch Themen und dramatische Stoffe umschreiben, welche Inglin als erwähnenswert erachtete – oder die er irgendwann hätte literarisch verwerten wollen oder verwertet hat. Daraus lässt sich ein Bild zeichnen, was Inglin weltanschaulich und künstlerisch beschäftigt hat, immer bezogen auf aktuelle Ereignisse, Erlebnisse, Erfahrungen oder das Zusammentreffen mit Zeitgenossen.

Ebenfalls im schmalen Büchlein enthalten sind Briefe und Zeitungsartikel von Inglin, welche im Umfeld des Tagebuchs entstanden, versandt oder publiziert wurden. Dazu gehören ein Brief an seine Familie, einer an das Rektorat im Kollegium Schwyz, Publikationen über Theateraufführungen, «über die Zukunft unserer Literatur» und Weiteres. Ergänzend ist der Publikation ein Nachwort von Inglin-Kenner Daniel Annen, Schwyz, angefügt; er zeichnet auch als Herausgeber dieses Tagebuchs. Annen erläutert einfühlsam, in welcher Konfliktsituation sich Inglin als junger Mann befunden hat, wie fast alles in seinem Umfeld mit den katholisch-bürgerlichen Moralvorstellungen belastet gewesen ist, wie der Bildungsweg von Inglin alles andere als gradlinig verlaufen ist oder wie der Psychologe und Philosoph Paul Häberlin Einfluss auf Inglin gehabt hat.


Erzählungen auf Englisch erschienen

Die Herausgabe dieses Tagebuchs passt perfekt in die seit einigen Jahren laufende «Wiederentdeckung» von Inglins Werk. Vor einem Jahr sind sämtliche 57 Erzählungen von Inglin aufgelegt worden. Darunter auch elf sehr früh entstandene, die bisher noch nie in Buchform veröffentlicht worden sind. Vor zwei Jahren sind vier Erzählungen von Inglin durch den Schoeck-Biografen Chris Walton übersetzt und in Englisch herausgegeben worden. Zum 50. Todestag von Meinrad Inglin fanden szenisch-musikalische Lesungen statt, der Einbezug ins Schwyzer Literaturfest und die Neuausgabe der «Welt in Ingoldau». Wesentlich an dieser Renaissance ist die 1972 gegründete Meinrad-Inglin-Stiftung beteiligt, die publikumsnah informiert, publiziert und das Werk Inglins unterstützt und fördert. 

Autor

Bote der Urschweiz

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Kategorie

  • Literatur

Publiziert am

27.12.2025

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www.schwyzkultur.ch/XHaw6U